Misstrauen säen unter Religionen

Ein aggressiver Rechtspopulismus in Europa ersetzt gerade den Hass gegen Juden durch Feindseligkeit gegenüber Moslems.

Muslime und Juden haben einander sehr viel zu sagen. Am besten direkt. Im Kern sind beide Religionen sich viel näher, als viele vermuten würden. Und dabei geht es nicht nur um Ähnlichkeiten zwischen koscher und halal.

Über Jahrhunderte gab es ein friedliches Miteinander. Gerade in der historischen Distanz lassen sich hier jenseits nostalgischer Verklärungen Anknüpfungspunkte für heute finden.

In Europa ersetzt ein aggressiver Rechtspopulismus gerade Antisemitismus durch Islamfeindlichkeit. Besonders perfide erscheint dabei der Versuch, Antisemitismus bevorzugt bei den Muslimen zu verorten und sich als „Beschützer der Juden“ selbst reinzuwaschen. Die „Verteidiger Europas“ können damit sogar im Mainstream punkten. Gerade hier braucht es einen intellektuellen Austausch zwischen Juden und Muslimen zu der Frage, wie Feindbildpolitik dekonstruiert werden kann.

Eine der Herausforderungen liegt darin, dass die meisten Muslime heute alles Jüdische durch die Brille des Nahostkonflikts betrachten. Es fehlt an der Differenzierung zwischen einer kritischen Haltung gegenüber der israelischen Politik und dem Judentum als einer Weltreligion. Verschwörungstheorien haben Konjunktur. Da geht unter, dass viele Juden ihrerseits Kritik an der Politik des Staates Israel äußern.

Lange Tradition des Respekts

Angeheizt wird die Stimmung, wenn muslimische Akademiker als Zeugen für den angeblichen Judenhass eingeladen werden und diesen als eine Art Dogma ihrer Religion präsentieren. Dem Publikum wird dabei verborgen, dass es im Islam eine lange Tradition des Respekts und der Aufgeschlossenheit gegenüber Andersgläubigen, gerade aus den Buchreligionen gibt.

Ja, es gibt zwar einige Stellen, in denen Juden in einem negativen Zusammenhang vorkommen. Dabei handelt es sich um situationsbedingte Aussagen. Fanatiker würden gern diesen historischen Kontext ignorieren und Allgemeingültigkeit postulieren. Wer sich ähnlich ignorant verhält, macht sich zum Propagandisten dieses unseligen Gedankenguts.

Es besteht Handlungsbedarf

Bisher sind jene Leute, die behaupten, in österreichischen Moscheen werde Hass auf andere Religionen gepredigt, konkrete Angaben dazu schuldig geblieben. Die IGGÖ würde jedenfalls Hetze nicht zulassen.

Doch immer wieder geistern Behauptungen herum, die Misstrauen säen. Gudula Walterskirchen schrieb in ihrem „Quergeschrieben“ („Presse“, 21. 11.), der Religionspädagoge Ednan Aslan habe in aktuellen Schulbüchern für den islamischen Religionsunterricht Texte gefunden, die die Kinder zur Gewalt gegen Juden und Christen aufriefen. Das ist nicht korrekt und wurde von Aslan so auch nie behauptet. Umgekehrt wurden Texte, die das Judentum betreffen, erst nach kritischer Durchsicht jüdischer Fachleute freigegeben.

Freilich besteht Handlungsbedarf. In den Familien und bei der Jugend muss mehr Bewusstseinsbildung stattfinden. Auch Imame müssen sich ihrer Verantwortung stellen. Ein Schlüssel ist die Begegnung zwischen Juden und Muslimen. Gerade fand eine Intensivierung statt. Seitens IKG und IGGÖ wurde der gemeinsame Wunsch nach Kooperation und offener Aussprache betont.

Die gegenseitige Solidarität ist wichtiger denn je, nicht nur, wenn es um praktische Seiten der Religionsausübung geht. Gemeinsam gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit aufzutreten kann dem Rechtsruck begegnen, der die ganze Gesellschaft mit einer Stimmung von Ausgrenzung negativ treffen würde.

Dipl.-Ing. Tarafa Baghajati ist Obmann der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen,

Kulturreferent der Islamischen Religionsgemeinde Wien und Ko-Vorsitzender der Plattform Christen & Muslime.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2016)

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