Der Fußball und die Politik der Gefühle

Die Rückkehr des Steuersünders Uli Hoeneß zeigt, wie der Fußball Gemeinschaft in Geschäft verwandelt.

Ganz Deutschland geht einem Mann auf den Leim: Uli Hoeneß. Er ist viel umjubelt zum Präsidenten des FC Bayern München wiedergewählt worden. Hoeneß taugt als Präsident, aber nicht mehr als moralische Instanz, lautet das Resümee der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Natürlich ist Hoeneß ein kompetenter Geschäftsmann. Aber was bleibt vom Amt, wenn sein Träger als moralisch bedenklich eingestuft wird? Hoeneß bleibt der Einzigartige, „es gibt schon zu viel Verwechselbarkeit im Leben und im Fußball“, so die „FAZ“. Hat er nicht „seine Verwundbarkeit gezeigt, als er die Momente der Einsamkeit in der Zelle beschrieb“?

Vor so viel medialem Einfühlungsvermögen kapituliert jede kritische Reflexion. Nein, die Volksherzerhebung war „keine Inszenierung“, schrieb die „Zeit“, „Hoeneß rührte die Leute“. Die „Führungskraft mit weichen Fähigkeiten“ habe „zum Beispiel Humor“. Na dann.

Da will auch die „Süddeutsche“ nicht beiseitestehen, schließlich findet die Gefühlsaufwallung im eigenen Hinterhof statt. Nein, es sei nicht der wahre Skandal, dass ein Reicher eine Straftat als Episode in seinem Lebenslauf schubladisieren könne. Der „wahre Skandal“ sei, dass viele Knastheimkehrer nicht wieder in ein Leben und einen Job finden würden. Die Rückkehr des „Gefühlspräsidenten“ ist eine rührselige Home-Story mit all den larmoyanten Zutaten des Befindlichkeitsjournalismus. Das Ziel: Bayern-Fan-Blattbindung.

Tatsächlich war die Reinthronisierung von Hoeneß eine knallhart kalkulierte und perfekt inszenierte Geschäftsmaßnahme. Der Verein trommelt die „Bayern-Familie“ zusammen, um sie noch effizienter als Kunden nutzen zu können. Der Soziologe Thomas Alkemeyer nennt das Imagepolitik, mit ihr konstruieren die Klubs des „total abgehobenen Profifußballs“ Authentizität und Verbundenheit mit den Anhängern.

Der FC Bayern zahlt Spielern Gehälter, gegen die der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker (rund 330.00 Euro pro Jahr), wie ein Bettler wirkt. Die Emotionalisierungsmaschine des Fußballs biedert sich mit teils erfundenen Mythen und Traditionen an die Anhänger an. Und mit Typen wie Hoeneß, die eine klar umgrenzte Nachbarschaft oder Region verkörpern und Authentizität nachweisen sollen. „Das schafft Gemeinschaft, und die schafft Gefühle“, sagt Alkemeyer. Und die kann man gewinnbringend vermarkten.

Natürlich ist Hoeneß ein kompetenter Geschäftsmann. Er weiß wie wenige um die Methoden, mit der symbolisches Kapital akkumuliert und in richtiges Geld verwandelt werden kann. Ein Klub braucht eine Tradition, die den Fan in einer unsicheren Welt beheimatet. Ein Klub braucht Führerfiguren wie ihn. In der harmlosen Umgebung des Sports lässt sich die Sehnsucht nach dem starken Mann aussprechen, schreiben, herausschreien. Alkemeyer: „Wenn man auf den Fußball genauer hinschaute, könnte man wahrscheinlich zeigen, wie sich die Einstellungen und Sehnsüchte in den Tiefenschichten der Gesellschaft verändern.“

In Europas ist der starke Mann – noch? – nicht mehrheitsfähig. Die Wahl Donald Trumps mag tief greifende Veränderungen signalisieren. Und rechte Parteien arbeiten daran, auch in Europa diesbezügliche Hemmungen abzubauen. Im Fußball geht das – schon? – ganz gut. Zum Fußball, der vorbildhaft unsolidarischen Ellbogengesellschaft, passt das. Lassen wir es dort – und Hoeneß arbeiten.

Johann Skocek ist freier Journalist in Wien.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2016)

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