Kopf hoch, Europa! Gewonnen haben stets die Optimisten

Die westliche Welt am Vorabend des Machtwechsels zu Donald Trump.

Um mit der Parole „Make America great again“ einen Wahlkampf führen zu können, bedarf es schon des Bewusstseins in der Wählerschaft, dass ihr Land nicht mehr die Supermacht ist, die es einmal war. Es gibt jedoch auch handfeste Gründe für die Behauptung: „Wir wollen wieder hochkommen!“ Bei makroökonomischer Betrachtung fällt auf, dass die USA ein beachtliches Leistungsbilanzdefizit von vier Prozent verzeichnen, während die EU einen etwa gleich großen Leistungsbilanzüberschuss hat.

Die Benchmark für Staatsverschuldung ist in der EU 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die USA werden bald eine Gesamtverschuldung von 125 Prozent des BIPs verzeichnen. Um den Kern jeder Volkswirtschaft – die Industrie – steht es in den USA nicht zum Besten, Stichwort Rust Belt. Wo einst mächtige Stahlwerke und großartige Autofabriken standen, findet man oft nur noch Industrieruinen. Die Infrastruktur – Straßen, Eisenbahnen, Leitungsnetze – brauchen gewaltige Investitionen, was zwar für den Arbeitsmarkt gut, aber auch ein Zeichen für schwere wirtschaftliche Defizite ist.

Die gesellschaftliche Situation der USA stimmt auch nicht optimistisch. Die amerikanische Gesellschaft ist so gewalttätig wie eh und je, rassistisch infiziert und politisch total zerstritten. Den einfachen Leuten gaukelte Donald Trump vor, dass er die Arbeiter nicht nur vor chinesischer Konkurrenz, sondern auch vor den eigenen Eliten schützen werde.

Xi Jinping darf sich freuen

Außenpolitisch hatten die USA zuletzt mehr Fehlschläge als Erfolge zu verzeichnen. Die militärischen Abenteuer von George W. Bush im Irak nach den Terrorangriffen des 11. September 2001 in New York und Washington haben im Nahen Osten das Tor zur Hölle geöffnet. Die Bürgerkriege in der Levante und Nordafrika haben Flüchtlingsströme nach Europa ausgelöst und damit auch die EU destabilisiert. Der angedrohte Rückzug vom Pazifischen Freihandelsabkommen ist auch keine Glanzleistung. So wird Chinas Präsident, Xi Jinping, wohl bald den US-Präsidenten als mächtigsten Mann der Welt ablösen.

Europäische Sorgen

Wir sollten aber nicht allzu sehr in Pessimismus verfallen. Es gibt ein schönes amerikanisches Sprichwort: „Hinfallen ist keine Schande, aber nicht wieder aufstehen ist eine!“ So bleibt noch immer die Hoffnung, dass die Amerikaner wieder aufstehen werden.

Auf dem europäischen Kontinent steht es freilich auch nicht zum Besten. Großbritannien hat sich auf den Weg aus der EU gemacht, die Flüchtlingswelle hat die Union tief gespalten und übergangslos die Finanzkrise abgelöst.

Inzwischen beginnt sich Griechenland wieder aufzurappeln. Italien könnte dem Vormarsch der Fünf-Sterne-Bewegung Einhalt gebieten, und Angela Merkel könnte als deutsche Regierungschefin erhalten bleiben. Die Europäische Union verfügt über eine leistungsfähige Wirtschaft und funktionierende Strukturen – Kommission, Europäischer Rat und Europäisches Parlament –, das sind keine Kleinigkeiten in Zeiten wie diesen.

Und vor allem sollte man das Bewusstsein der jüngeren Generation nicht unterschätzen. Sie ist in einer Völkergemeinschaft aufgewachsen, die sich bis jetzt bewährt hat. Die Tendenz – weg von der EU und hin zum Nationalstaat – ist eine Modeerscheinung, die denkfähige Europäer nicht lang mitmachen werden. Vor allem dann nicht, wenn sie sich überlegen, wie klein ihre Länder im globalen Vergleich mit den aufsteigenden Schwellenländern sind. So sollten wir auch für Europa die Erkenntnis hochhalten: „Gewonnen haben bisher immer die Optimisten!“

Dr. Heinz Kienzl (* 1922 in Wien) war
von 1973 bis 1988 Generaldirektor
der Oesterreichischen Nationalbank.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2016)

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