Die Don Quichottes gegen die blauen Windmühlen

Wahlnachlese: Die Migration als unterschwelliges Thema der Bundespräsidentenwahl. FPÖ wird noch weiter ins Zentrum der Politik rücken.

Es war im Frühsommer, nach der Aufhebung der Stichwahl durch den Verfassungsgerichtshof. Ein Sieg Norbert Hofers bei der Wahlwiederholung im Herbst schien durchaus möglich. In der Säulenhalle des Parlaments fand einer der üblichen Empfänge statt, zu denen sich dort die politmediale Gesellschaft trifft. Ein früher einmal grüner und jetzt SPÖ-Funktionär meinte im Gespräch: Jetzt müsse das „andere Österreich“ zusammenstehen und alles tun, um Hofer zu verhindern.

Mit dem anderen Österreich meinte er sich, mich und das Publikum des Abends: die Gescheiten, Moralischen, Besseren, Aufgeklärten – kurz jene Leute, die Kurt Kotrschal mit dem „rationalen Apollo“ identifiziert, während die, die Hofer gewählt haben, dem Typ des „triebhaften Dionysos“ entsprechen. Oder weniger hochgestochen: der Nikolaus habe den Krampus geschlagen. Soviel zur politischen Weltbetrachtung und überheblichen Selbsteinschätzung eines Teils der österreichischen Intelligenz.

In einer Wohnanlage für Polizisten mit ihren Familien in Ottakring bekam Hofer 74,8 Prozent, während der übrige Bezirk mehrheitlich für Van der Bellen stimmte. Das berichtete ein Kolumnist mit der Bemerkung, es sei ja bekannt, dass die Polizei von der FPÖ unterwandert sei. Würde er vom Bezirk Neubau, der zu 82,4 Prozent Van der Bellen gewählt hat, sagen, er sei „links-grün unterwandert“? Aber so sei das eben: „Alles erklärlich, alles demokratisch.“ Wie bitter für ihn: Da lässt man die Leute wählen, dann wählen sie den Falschen.

Fehlt noch Peter Huemer. Er vergießt Tränen der Erleichterung über den Sieg Van der Bellens. Während dieser die Versöhnung predigt, beschwört sein Wähler Huemer „jetzt erst recht“ die Angst vor der FPÖ. Der SPÖ hält er vor, ein Bündnis mit der FPÖ werde sie ihre „besten Wähler“ kosten. Offenbar meint er damit sich selbst. Das ist verräterisch. Es gibt keine guten und schlechten Wähler, in einer Demokratie wiegt jede Stimme gleich schwer. Das wurmt anscheinend die Verächter der FPÖ.

Seit Monaten schreiben immer dieselben Leute in den immer selben Wendungen die Spaltung des Landes herbei und glauben ihren eigenen Phantomen. Es eint sie die Arroganz, sich intellektuell und moralisch besser vorzukommen. Sie schreiben jetzt immer noch so, als ob die Wahl erst bevorstehe. Die Don Quichottes des Medienwesens führen ihre Nachhutgefechte und halten sich zugute, Europa vor dem Absturz in den „Rechtspopulismus“ gerettet zu haben.

Ich verwende ausdrücklich nicht den beliebten Begriff „rechtspopulistisch“, denn die Rechte hat keineswegs das Monopol auf den Populismus. Der Spanier Pablo Iglesias und der Grieche Alexis Tsipras sind Musterexemplare linker Populisten.

Der Pensionistenhunderter in Österreich ist auch ein gutes Beispiel: Vom Urahnen des „Rechtspopulismus“ Jörg Haider erfunden, dient er heute als vermeintliches Weihnachtsgeschenk von SPÖ und ÖVP, die beide dreist behaupten, das sei nicht populistisch.

Geht nicht um Kluft Stadt/Land

Was Leute bewegt, in Österreich und anderswo rechte Parteien zu wählen, ist noch nicht restlos geklärt. Jedenfalls sind es nicht die wirtschaftliche Not oder das Gefälle zwischen Stadt und Land. Von keinem Dorf in Österreich braucht man länger als eine Stunde in die nächste Bezirksstadt. Auch wenn es sich im oberen Murtal bescheidener lebt als im Speckgürtel um Wien, gibt es bei uns keine toten Industrielandschaften wie im amerikanischen Mittelwesten oder in Oberitalien.

Sibylle Hamann, mit der ich selten einer Meinung bin, hat recht, wenn sie immer wieder schildert, dass Landleben in Österreich keineswegs bedeutet, wirtschaftlich abgehängt und sozial deklassiert zu sein. Man muss nur Favoriten mit Wolkersdorf vergleichen.

„Wir finden keine Beweise, dass (in 15 europäischen Ländern) die Ungleichheit der Einkommen oder die Einschätzung des eigenen Einkommens die Entscheidung für oder gegen rechtspopulistische Parteien beeinflussen“, konstatiert die Agenda Austria, die sich ihrerseits auf eine Studie der Bertelsmann-Stiftung stützt. Wirklich wahlentscheidend sind für Europäer hingegen (kaum überraschend) „das fehlende Vertrauen in die Politik sowie eine ablehnende Haltung gegenüber Migration und Fluchtbewegungen“.

Thema Flüchtlingsaufnahme

Diese Einschätzung wird vom Politikanalytiker Fritz Plasser bestätigt, der Motive für die Entscheidung bei der Bundespräsidentenwahl untersucht hat: Zwei Drittel der Wähler sähen die Möglichkeiten, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, „bereits erschöpft“, fand er heraus. Drei Viertel der Wähler befürworteten die Festlegung von Obergrenzen bei der Anzahl der Flüchtlinge, die Österreich aufnehmen kann. Rund 60 Prozent halten die von der Regierung gesetzten Maßnahmen für nicht ausreichend und befürworten noch schärfere.

Diese Haltungen sind bemerkenswerterweise auch weit hinein in die Wählerschaft von Van der Bellen vertreten. Immerhin jeder dritte Van-der-Bellen-Wähler ist für schärfere Methoden, Migranten abzuhalten. In der Frage der Aufnahmekapazität hält Plasser die Van-der-Bellen-Wählerschaft für gespalten. Nur die Hälfte sehe Möglichkeiten, weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Eine Mehrheit von 60 Prozent der Van-der-Bellen-Wähler spricht sich für Obergrenzen aus, wohingegen nur 35 Prozent erklärtermaßen dagegen sind.

Das Narrativ, dass sich im Lager des neuen Bundespräsidenten nur das „gute Österreich“ der Willkommenskultur versammelt habe, stimmt also nicht ganz.

Im Gegensatz zu dem, was sich die anfangs zitierten Autoren wünschen, wird die FPÖ nicht geächtet werden, sondern noch stärker ins Zentrum der Politik rücken. Sie wird zunehmend auch im Kalkül von SPÖ und ÖVP eine Rolle spielen. Die Migrationsfrage wird dabei die Schnittstelle bilden.

Hans Niessl aus dem Burgenland spricht das auch aus. Er wird wissen, was frühere SPÖ-Wähler bewogen hat, zur FPÖ abzuwandern und empfiehlt der SPÖ, den „Weg des Burgenlands zu gehen“. Dazu gehört für ihn eine Reform der Mindestsicherung für Inländer und Migranten gleichermaßen.

Faktor Wähleraustausch

Die Politiker können sich nicht wie die Intellektuellen die Verachtung des Publikums der FPÖ leisten – schon deshalb nicht, weil die Wähler der Freiheitlichen vor nicht langer Zeit noch ÖVP und SPÖ gewählt haben. Die ÖVP kann sich das etwa in einer oststeirischen Gemeinde anschauen, wo der ÖVP-Bürgermeister mit 77 Prozent der Stimmen gewählt wurde – fast genauso viel wie Hofer in derselben Gemeinde am 4. Dezember bekam.

Christian Kern und Reinhold Mitterlehner haben verschiedene Vorstellungen davon, wie sie mit der FPÖ umgehen wollen. Mitterlehner möchte verbrannte Erde und glaubt, sich das leisten zu können, weil es einen „Wähleraustausch zwischen ÖVP und FPÖ“ nicht gebe. Die Gemeinde im Bezirk Südoststeiermark beweist allerdings das Gegenteil.

Kern sucht die Nähe zur FPÖ und ideologische Gemeinsamkeiten, von denen es tatsächlich viele gibt. Beide möchten verhindern, dass Strache Kanzler wird. Bekommen könnten sie dafür Hofer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2016)

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