„Krank werden – das geht gar nicht . . .“

Schlechte Verdienstperspektiven und Beschäftigungsbedingungen, Arbeit zu Randzeiten und in der Nacht, Stress und Druck von oben: Eigentlich ist es ein Wunder, dass im Gastgewerbe überhaupt noch jemand arbeitet.

Vor den Weihnachtsfeiertagen ging erneut eine Diskussion los, ob Berufe im Gastgewerbe auf die Liste der Mangelberufe gesetzt werden sollten. Das Fehlen von Arbeitskräften in dieser Branche hat aber viel weniger mit fehlendem Fachpersonal oder arbeitsunwilligen Arbeitslosen zu tun, wie oft suggeriert wird, als vielmehr mit den vergleichsweise schlechten Arbeitsbedingungen und Entlohnungen.

Das wirklich Verwunderliche an der Debatte über einen Arbeitskräftemangel im Gastgewerbe ist nicht, dass Arbeitsplätze nicht besetzt werden können, sondern viel mehr, wie unsachlich die Argumentation verläuft. Wenn etwa Sepp Schellhorn in einem „Kurier“-Interview behauptet, „für fünf Tage in der Woche mit einem Bruttogehalt von 4500 Euro gerechnet auf 40 Stunden und dazu Überstundenauszahlung“ keinen Koch zu finden, dann mag das als unwahrscheinlicher Einzelfall zutreffen.

Davon abzuleiten, dass etwa die Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose nicht streng genug seien, ist aber verfehlt. Denn mit der statistischen Arbeitsrealität hat das Beispiel sehr wenig zu tun. Die Branche wird nicht, wie Schellhorn behauptet, schlechtgemacht, sondern sie ist schlecht.

Niedriglohn und Unsicherheit

Ein Blick in den Einkommensbericht zeigt die Fakten. Im Wirtschaftsabschnitt „Beherbergung und Gastronomie“ waren 2015 345.772 Personen unselbstständig beschäftigt. Mit 10.429 Euro pro Jahr – hier vorerst für Voll- und Teilzeitbeschäftigte – hat dieser die mit Abstand niedrigsten mittleren Bruttojahreseinkommen.

Schon zum Wirtschaftsabschnitt „Kunst, Unterhaltung und Erholung“, der mit 14.739 Euro an zweitletzter Stelle liegt, ist ein beachtlicher Unterschied auszumachen. Am anderen Ende der Verteilung liegt die „Energieversorgung“ mit rund fünfmal so hohen mittleren Bruttojahreseinkommen. Zwischen den Wirtschaftsbereichen tun sich also wahre Einkommensklüfte auf.

Die schlechten Verdienstperspektiven in der Gastronomie zeigen sich auch auf Ebene der Berufe. Köchinnen und Köche, das waren 2015 immerhin 53.300, kommen im Jahresdurchschnitt auf ein mittleres Bruttoeinkommen von 18.465Euro (zum Vergleich, das entspricht 14-mal 1319Euro pro Monat). Die 118.000 Kellnerinnen und Kellner kommen überhaupt nur auf ein Bruttojahreseinkommen von 7899 Euro.

Angesichts dieser niedrigen Jahreseinkommen ist der mit 26Prozent vergleichsweise hohe Anteil an Beziehern von Transfereinkommen (z.B. Arbeitslosengeld) nicht verwunderlich. Diese Ergebnisse spiegeln die diskontinuierlichen Beschäftigungsverhältnisse und den hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigten, die den Beschäftigungsverhältnissen im Gastgewerbe anhaften und eben prekäre Bedingungen schaffen, wider.

Überlange Arbeitszeiten

Aber selbst wenn man nur die Einkommen von ganzjährig Vollzeitbeschäftigten vergleicht, hat „Gastronomie und Beherbergung“ mit 23.459 Euro die mit Abstand niedrigsten mittleren Bruttojahreseinkommen. Die mittleren Einkommen in der Branche, die dem Gastgewerbe am nächsten kommt, sind bereits um 30 Prozent höher. Die mittleren Einkommen aller ganzjährig unselbstständig Vollzeitbeschäftigten liegen mit knapp 40.000 Euro sogar um 70 Prozent darüber. Als Zwischenresümee können wir also festhalten, dass es hinsichtlich der ökonomischen Bedingungen eigentlich kaum schlechter als in der Gastronomie sein kann.

Damit aber nicht genug, sind auch die Arbeitsbedingungen und der Arbeitnehmerschutz ausgesprochen schlecht. Arbeit zu Randzeiten und in der Nacht, überlange Arbeitszeiten und enormer Zeitdruck sind üblich. Der Mikrozensus zeigt, dass wir uns im Wirtschaftsabschnitt „Beherbergung und Gastronomie“ auch hinsichtlich der Arbeitszeit wieder auf einer Ebene der Superlative bewegen.

Die durchschnittlichen normalen Arbeitszeiten 2015 sind mit 43,6Stunden die längsten. Die schlechte arbeitszeitrechtliche Regulierung zeigt sich, wenn man von der tatsächlichen Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten die Überstunden abzieht. Wieder ist „Beherbergung und Gastronomie“ der einzige Wirtschaftsabschnitt, in dem dieser Wert über 40 Stunden pro Woche liegt. In allen anderen liegt er deutlich darunter, zwischen 36,5 Stunden und 38,6 Stunden. Wir haben es hier also mit einer Branchenkultur langer Arbeitszeiten zu tun, in der Überstunden als solche gar nicht wahrgenommen werden.

Krankenstand wird zur Utopie

Die hier statistisch dargelegten Zusammenhänge zeigten sich auch in einem kürzlich durchgeführten Forschungsprojekt, etwa, wenn ein Geschäftsführer vom Küchenchef verlangt: „Es ist mir egal, wie du es handhabst, es muss sich nur ausgehen. Aber es gibt nicht mehr Geld. Wenn es halt jetzt so ist, dass die Arbeit von einer gewissen Personenanzahl und 40Stunden nicht bewältigt werden kann, dann müsst ihr mehr arbeiten.“

Wie sich in der Studie gezeigt hat, kann dann sogar das Recht auf Krankenstand zur Utopie werden. Angesichts der Arbeitsrealitäten kommen die eingangs erwähnten 4500 Euro und Überstundenbezahlung den meisten Köche wohl eher wie ein Weihnachtsmärchen vor.

So sagt ein anderer Küchenchef über seine Entlohnung: „Und da ist der Minimumkollektiv schon All-in. Das sind dann aber Wochen mit über 60 Stunden oder 70 Stunden. Aber mit der Kollektivvertragsentlohnung kann man nichts anfangen, davon kann man nicht leben.“

Mindestlohn als erster Schritt

Wenn es also in der Gastronomie an Personal fehlt, dann nicht, weil die Menschen arbeitsunwillig sind, sondern deshalb, weil die Arbeitsbedingungen vergleichsweise schlecht und unter dem österreichischen Standard sind. Angesichts dieses objektiv schlechten Abschneidens von Beherbergung und Gastronomie ist es eher ein Wunder, dass überhaupt noch jemand im Gastgewerbe arbeitet.

Insofern sollten nicht die Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose verschärft oder ein ethnisierter Niedriglohnsektor vergrößert werden, was der Fall wäre, wenn Gastronomieberufe ohne eine Änderung der Rahmenbedingungen zu Mangelberufen erklärt würden, sondern die Arbeitsbedingungen verbessert und die Löhne gehoben werden.

Ein Mindestlohn von 1700 Euro, wie er derzeit von der Gewerkschaft gefordert wird, wäre diesbezüglich ein erster Schritt. In einem hochkompetitiven Umfeld wie in der Gastronomie heißen höhere Löhne natürlich auch, dass die Preise für die Konsumenten steigen. Dafür müssen wir vielleicht kein Schnitzel mehr essen, das von einer Köchin zubereitet wurde, die statt krank am Herd zu stehen, im Bett liegen sollte, und das von einem Kellner serviert wird, der ein Einkommen hat, mit dem er in Österreich kaum das Auslangen finden kann.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Franz Astleithner (*1985 in Steyr) studierte Soziologie und Volkswirtschaft. Derzeit ist er als Universitätsassistent am Institut für Soziologie der Universität Wien beschäftigt. Er forscht zu ethnischen Ökonomien, sozialer Ungleichheit, Arbeitszeit und industriellen Beziehungen. In einem seiner letzten Projekte untersuchte er Über- und Mehrarbeitsstundeneinsatz in Österreich. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2017)

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