Wenn die da unten ihre Gefolgschaft plötzlich verweigern

Arroganz gegenüber nicht so gebildeten Schichten ist demokratiegefährdend.

Es rumort im öffentlichen Diskurs. Populistische Parteien, die einen vermehrten Zulauf in Europa verzeichnen, der Brexit und die Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten haben eine Mischung aus Hilf- und Fassungslosigkeit gegenüber den aktuellen politischen Strömungen erzeugt. Sie ergibt sich nicht nur aus dem Versagen der traditionellen politischen Messinstrumente oder dem unsanften Erwachen in den liberalen Echoräumen, sondern auch aus der Unbekümmertheit, mit der sich das Wahlvolk gegenüber den Empfehlungen des sogenannten Establishments verhalten hat.

In der Aufgeregtheit wird übersehen, dass die Auseinandersetzung zwischen Individuum, Freiheit und Sicherheit und jene über Masse und Elite zentral und systemimmanent sind. Ihr Auftreten ist zyklisch, abhängig von den jeweiligen Krisen, mit denen die Demokratien und das mit ihnen verwobene Finanzsystem ebenfalls zu kämpfen haben. Bloß, in Krisenzeiten treten Konflikte genauso wie Missverständnisse offenkundiger zutage als in „bequemeren Zeiten“.

Eines der grundlegenden Missverständnisse ist jenes von den gleichen politischen Einflussmöglichkeiten. Demokratische Systeme, auch jene der Massendemokratie, sind nicht nur in ihrer liberalen Interpretation Elitenprojekte. In der Massendemokratie versöhnt sich das System mit dem Gleichheitsansatz – aber nur oberflächlich. Auch die direkte Demokratie führt nicht zur Verwirklichung des Gleichheitspostulats. Sie bewirkt eher eine Verschiebung der Einflussmöglichkeiten – von demokratisch legitimierten zu demokratisch nicht legitimierten Politakteuren.

Kein Führungsanspruch, aber ...

Die Gebildeten, Gelehrten, Künstlerinnen, Vertreter der Medienlandschaft erheben im Gegensatz zu den Politikern keinen Führungsanspruch. Dieser ergibt sich gleichwohl aus ihrer öffentlichen Stellung und damit aufgrund ihrer Position innerhalb der politischen Öffentlichkeit. In den geübten Demokratien bedingte dies, dass sich eine gewisse Selbstverständlichkeit einschlich, deren Infragestellung nun verwundert.

Liberale „not amused“

Die liberale Öffentlichkeit ist schlicht „not amused“, wenn Populisten Abstimmungen oder Wahlen gewinnen. In die Empörung über die Verweigerung der Gefolgschaft mischt sich aber nicht selten auch eine gewisse herablassende Haltung gegenüber jenen, die pauschal zu den „Modernisierungsverlierern“ gezählt werden, also die weniger gebildeten, „einfachen“ Bevölkerungsgruppen. Ausgeblendet wird dabei nur zu gern, dass diese Arroganz genauso demokratiegefährdend wie der angeprangerte Populismus ist.

Demokratie kann nicht ohne das Gleichheitspostulat gedacht werden. In Konsequenz bedeutet dies, dass der Bildungsgrad keinen Einfluss auf das Mitsprache- und Mitgestaltungsrecht haben darf. So sehr ich mich intellektuellen Diskursen verbunden fühle, so sehr trete ich für die Egalisierung der Demokratie ein. Dies bedeutet eine unkomplizierte Gestaltung der Einflussmöglichkeiten. Die Demokratisierungsprozesse der vergangenen Jahre haben vielfach unbemerkt das Gegenteil bewirkt.

Wenn bildungsferne Schichten weiter naserümpfend wegen etwaiger Grammatikfehler ins politische Abseits gelächelt werden, haben sie jeden Grund, ihre Gefolgschaft gegenüber vermeintlich Vernünftigen zu verweigern und sich jenen, die sie vermeintlich ernst nehmen, zuzuwenden. Das Establishment hat die politische Verpflichtung, alle als Gleiche und sich nicht selbst als Gleichere zu verstehen. Nicht mehr und nicht weniger.

Barbara Serloth (*1963 in Wien) ist Politikwissenschaftlerin und im Parlamentsklub der SPÖ für die Bereiche Integration, Konsumentenschutz, Tourismus zuständig.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2017)

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