Echauffierungspolitik und der Aufstieg der Rechten

Es wäre hoch an der Zeit, dass die etablierten Parteien und Politiker die Menschen und ihre Sorgen wieder ernst nehmen.

Wer das Jahr 2016 Revue passieren lässt, wird sich wohl an die Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten, das Brexit-Votum oder aber auch an das starke Abschneiden der AfD bei deutschen Landtagswahlen erinnern. Ereignisse, die Schockwellen bei den „etablierten“ Parteien und Politikern auslösten und viele Experten sowie vorauseilende Umfrageergebnisse Lügen straften.

Der Ausblick für 2017 ist ähnlich: Marine Le Pen wird den Einzug in die Stichwahlen um die französische Präsidentschaft schaffen. Auch die Alternative für Deutschland wird im Frühherbst locker die Fünf-Prozent-Hürde überspringen und den Einzug in den Bundestag schaffen. In den Niederlanden werden Geert Wilders islamkritischer Partei für die Freiheit ebenfalls große Zugewinne vorausgesagt.

Bezeichnend für diesen Trend ist auch das Ergebnis der Bundespräsidentenwahlen in Österreich. Zwar setzte sich hierzulande der von der Mehrzahl der Parlamentsparteien sowie von der Kunst- und Kulturszene unterstützte Kandidat, Alexander Van der Bellen, durch. Doch hätte es diese breite Unterstützung sowie die vom Industriellen Hans Peter Haselsteiner orchestrierte Anti-Hofer-Kampagne nicht gegeben, hätte das Wahlergebnis durchaus auch anders aussehen können.

Die Ängste der Bevölkerung

Warum aber wenden sich die Menschen in den westlichen Ländern vermehrt Kandidaten zu, die von vielen etablierten Parteien und intellektuellen Kreisen als populistische Schreihälse, Angstmacher oder auch Hassprediger gebrandmarkt werden?

Viele Untersuchungen zu den jüngsten Wahlergebnissen kommen zu dem Schluss, dass sich Berufspolitiker aller Couleur von der Lebensrealität der Menschen weit entfernt haben. Freilich ist das nicht der einzige Grund dafür, dass vor allem nationalkonservative Bewegungen immer stärker werden.

Neben der Ausbreitung der politischen Korrektheit auf immer mehr Lebensbereiche – was trotz aller ihrer Errungenschaften von großen Teilen der Bevölkerung doch als Beschneidung der Ausdrucksweise, ja als Zensur der eigenen Meinung verstanden wird – ist es vor allem die von vielen Bürgern empfundene Überlastung durch die massive Zuwanderung, die nationalistisch agierenden Bewegungen Auftrieb verleiht. Sie kanalisieren mit ihren Forderungen nach einem generellen Zuwanderungsstopp und nationaler Abgrenzung die Ängste vieler Wähler.

Wie sich zeigt, sind viele dieser Ängste auch berechtigt. Koranunterricht in Wiener Kindergärten, Berichte über Massenschlägereien zwischen afghanischen und tschetschenischen Jugendbanden oder die in sozialen Medien tausendfach geteilten Bilder des U-Bahn-Treters aus Berlin verstärken das Sicherheitsbedürfnis. Deshalb ist nicht überraschend, dass populistische Bewegungen trotz ihrer oft „kontroversiellen“ Vorschläge zu wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Themen weiter Zulauf haben. Ideologische Werte und ein fehlendes Sicherheitsgefühl spielen im Empfinden der Bevölkerung eine viel wichtigere Rolle als wirtschaftliche Argumente.

Das Erstarken nationalkonservativer Bewegungen wäre zu verhindern gewesen. Doch statt sich der wachsenden Sorgen und Ängste der Bevölkerung anzunehmen, wurde jahrelang eine Politik des künstlichen Echauffierens, also der permanenten Erregung betrieben, wenn auf Fehlentwicklungen und Integrationsdefizite hingewiesen wurde.

Für Österreich bedeutete dies, dass Parteizentralen in einer chauvinistisch anmutenden Deutungshoheit vorgaben, wie Integration auszusehen habe. Integration wurde jahrelang sogar als Bringschuld der Aufnahmegesellschaft dargestellt. Schon dezente Hinweise zu entstehenden Parallelgesellschaften oder gar Kritik am Islam wurden im Stil einer Politik des Echauffierens als fehlende Weltoffenheit zurückgewiesen, meistens wurden Kritiker auch noch mit dem Verweis auf das „rechte Eck“ bestraft.

Gieren nach Aufmerksamkeit

Das Ziel dieser künstlichen Erregung war das Abwürgen jeder kontroversiellen Debatte und das Gieren nach medialer Aufmerksamkeit, um zu zeigen, dass man auf der „richtigen“ Seite stand. So wurde das Aufzeigen von politischen Fehlentwicklungen sogar vielfach von Experten vermieden, um nicht an einen die Karriere behindernden reaktionären Pranger gestellt zu werden.

Folglich verhinderten es das künstliche Echauffieren und der damit einhergehende Missbrauch der politischen Korrektheit, rechtzeitig die richtigen Maßnahmen zu setzen, um die Zuwanderung in geordnete Bahnen mit den entsprechenden Regeln zu lenken. Selbst wenn in den eigenen Reihen kritische Stimmen zu bedrohlichen Entwicklungen innerhalb der Gesellschaft oder Integrationsdefizite aufgezeigt wurden, wurden diese kurzerhand kaltgestellt – so etwa der Grünpolitiker Efgani Dönmez. Nur wenige – man denke an Peter Pilz – können es sich inzwischen noch leisten, gegen ein parteiinternes Dogma anzurennen und so beispielsweise eingestehen, dass die Grünen in diesen Fragen viele Jahre hindurch im Blindflug unterwegs waren.

Brüskierung der Wähler

Auch in der einst als Einheit auftretenden Wiener SPÖ wurde Kritik an der unreflektierten „Refugees Welcome“-Linie, wie sie etwa die letzte Woche zurückgetretene Gesundheits- und Sozialstadträtin Sonja Wehsely vertrat, nicht goutiert. Eine Korrektur erfolgt erst durch Druck der Freiheitlichen auf die Wiener Flächenbezirke.

Viele Parteien übersehen, dass auch liberal denkende Menschen mit offenen Augen durch die Welt gehen und täglich unübersehbare Fehlentwicklungen beobachten. In Scharen verabschieden sich diese inzwischen von einer paternalistischen Politik und der Doktrin, nur dann zu den „Guten“ zu gehören, wenn man sich kritiklos der Weltanschauung aus Löwelstraße, Lichtenfelsgasse oder der grünen Bundeszentrale anschließt.

Doch anstatt zu handeln oder gar Versäumnisse einzugestehen, wird von den meisten politischen Verantwortungsträgern weitergemacht wie bisher. Ja, es kommt sogar zur Brüskierung der eigenen Wähler, was in Ermangelung eines Kurienwahlrechts einem politischen Selbstmord gleicht. Nicht nur in den USA, wo Hillary Clinton einen Teil der Trump-Wählerschaft beschimpfte, auch in Österreich, wo nach jeder verlorenen Wahl der Bildungshintergrund der Wähler süffisant analysiert und der Dunstkreis mancher Parteien negativ bis abwertend kommentiert wird.

Eingeständnis von Fehlern

Politiker vieler etablierter Parteien sollten eingestehen, dass sie (mit-)verantwortlich für die eingetretenen Fehlentwicklungen sind, die vom Erstarken rechtspopulistischer Parteien bis hin zur Bildung von Parallelgesellschaften reicht.

Es wäre an der Zeit, die Menschen und ihre Sorgen ernst zu nehmen, möchte man sich (wieder) als echte „Volksparteien“ etablieren. Eine Form der Dissonanzauflösung durch Verdrängung der Tatsachen und eine weitere Echauffierungspolitik wird auch 2017 zu nicht gewünschten Wahlresultaten führen.

DER AUTOR

Leonhard Niederwimmer (*1981) ist Pädagoge und arbeitet als Bildungsberater in Linz sowie als Experte für Bildungsprogramme im europäischen Ausland. Er ist Sachverständiger für den Nationalen Qualifikationsrahmen Österreichs zur dualen Berufsausbildung und beschäftigt sich mit aktuellen Themen der Tagespolitik.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.