Pflege: Wer zahlt – Staat oder Familie?

Eine kompetente Debatte darüber, wer die Verantwortung für die Pflege zu tragen hat, ist überfällig in Österreich.

Bundeskanzler Kern widmete einen Teil seiner programmatischen Rede in Wels (Plan A) dem Kranksein im Alter, dem Hilfloswerden und den damit einhergehenden Pflegekosten. In diesem Zusammenhang kritisierte er, dass zur Finanzierung der Pflegekosten auf das Vermögen der Pflegebedürftigen zugegriffen wird. Das, so heißt es im Plan A, käme einer „100-Prozent-Erbschaftssteuer“ für Pflegefälle gleich.

Reicht das Vermögen der zu Pflegenden nicht aus, könne auf das Vermögen unterhaltspflichtiger Angehöriger zugegriffen werden, um die Kosten abzudecken (Pflegeregress). Gemeint sind damit in erster Linie Ehepartner und Kinder der zu Pflegenden.

Dieser Pflegeregress wurde mittlerweile in allen Bundesländern abgeschafft. Was nach wie vor bleibt, ist die Möglichkeit, auf das vorhandene Vermögen der Pflegebedürftigen zuzugreifen. Das mit dem Argument, dass es der Allgemeinheit nicht zumutbar sei, für die Kosten der Pflege von Familienmitgliedern aufzukommen, während das angesparte Vermögen der zu Pflegenden unangetastet bleibt.

Als langjährige Sozialrichterin ist mir klar, worum es geht: Ist es künftig Aufgabe der Allgemeinheit, die Kosten der familiären Pflegefälle zu tragen – oder bleibt es die Aufgabe der Familie, sich darum zu kümmern.

Unbefriedigender Status quo

Klar ist: Der Status quo ist höchst unbefriedigend. Stellen wir uns zwei 80-Jährige vor, die aufgrund ihres körperlichen oder geistigen Zustandes Pflegegeld der Stufe vier beziehen. Der eine entscheidet sich für eine stationäre Pflege, der andere will zu Hause bleiben. Das monatliche Pflegegeld deckt in beiden Fällen bei Weitem nicht die tatsächlichen Pflegekosten ab, und bei beiden reicht weder das Einkommen noch ihr Vermögen für den Rest.

Im Pflegeheimfall finanziert der Sozialhilfeträger die Kosten vor. Über Lebensversicherungen, Bausparverträge, Sparbücher oder Hypotheken auf Liegenschaften erfolgt der Zugriff auf das Privatvermögen des Pflegebedürftigen zur Kostendeckung. Was dann noch offen ist, übernimmt die Allgemeinheit.

Mögliche Alternativen

Bei der Pflege zu Hause ist die Sache anders: Die Förderungen für selbstständige Betreuungskräfte reichen zumeist nicht, weshalb Angehörige einspringen. Im Alltag sind es meistens die Töchter und Schwiegertöchter, die gegen Ausfall einer eigenen Verdienstmöglichkeit die Altenbetreuung übernehmen.

Mit anderen Worten: Unentgeltliche Pflege gibt es nur zu Hause. Wer ins Heim geht, bekommt zuerst eine Stundung der durch den Pflegebedarf entstandenen Kosten. Kinder zahlen nach der Aufhebung des Pflegeregresses nichts. Die private Pflege hingegen kennt nur verhältnismäßig geringe Zuschüsse und belastet Angehörige unmittelbar – persönlich wie finanziell.

Was derzeit fehlt, ist eine kompetente Debatte zur Klärung der Frage, wer die Verantwortung der Pflege zu tragen hat: der Staat oder die Familie. Typisch österreichisch heißt es derzeit: Neue „gerechte“ Steuern sollen es richten. Bis man draufkommt, dass das Geld nicht reicht. Deshalb sollte auch über Alternativen nachgedacht werden. Etwa über eine verpflichtende (private) Pflegeversicherung, damit sich jeder Bürger rechtzeitig gegen mögliche Kosten des steigenden Alters absichern kann.

Fest steht: Wir brauchen ein schlüssiges Konzept dafür, wie die einschneidenden finanziellen Folgen der demografischen Entwicklung (also der vergreisenden Gesellschaft bei gleichzeitig sinkenden Geburtenraten) möglichst breit und nachhaltig abgefedert werden können.

Dr. Cattina Leitner (geboren 1962 in Graz) war über 20 Jahre Zivilrichterin. Sie ist die langjährige Vorsitzende des Universitätsrates der Med-Uni Graz.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2017)

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