Migranten die Chance geben, Mitbürger zu sein

Was Österreich im Umgang mit Neuankömmlingen von einem klassischen Einwanderungsland wie Australien lernen könnte.

Hergekommen, um nicht dort zu sein“, so beschrieb ein Österreicher, der 1939 nach Australien hatte flüchten müssen, die Wahl seines Exillandes. Aus denselben Gründen befinden sich auch heute Zehntausende Menschen in Österreich. Sie sind zu uns gekommen, um nicht dort zu sein.

Viele verbrachten zunächst Jahre in Flüchtlingslagern. Mit der Zeit verschwand die Hoffnung auf eine Rückkehr, bis ihnen der wohl voreilig ausgesprochene Satz „Wir schaffen das“ neue Hoffnung gab. So machten sie sich auf den Weg, angespornt von der weitverbreiteten Annahme, in Deutschland und der Europäischen Union brauchte man dringend Arbeitskräfte. Europas Regierungen und das Schengen-Regime erwiesen sich letztendlich als unfähig, um mit diesem Ansturm fertig zu werden.

So weit so gut. Nun sind sie hier – all jene, die den Weg auf sich nahmen, um nicht länger dort zu sein. Die große Frage ist nun, wie gehen wir damit um. Migration in diesem Ausmaß stellt ein Land zwangsläufig vor immense Herausforderungen, bietet aber auch Chancen. Das Wichtigste ist nun jedenfalls, zu reagieren, um unser Land in Zukunft funktionstüchtig und lebenswert zu erhalten.

Österreichs Stärken

In Zeiten wie diesen sind sowohl romantisierende Träumereien vom unkomplizierten Nebeneinander, als auch ausgrenzende Vorstellungen von „Gestrigen“ fehl am Platz. Fakt ist, Österreich war seit Jahrzehnten eine Einwanderungsgesellschaft, wenn auch mit einer nicht vorhandenen Integrationspolitik. Fakt ist aber auch, dass sich zumindest das urbane Österreich längst in einen interkulturellen Raum verwandelt hat. Dies müssen wir akzeptieren – ob es uns passt oder nicht.

Die Geschichte ist voll von Phasen der Veränderung. In jeder einzelnen gab es Menschen, die das Neue aus (manchmal auch berechtigter) Angst ablehnten. Egal, wie man dazu stehen mag, eines zeigt die Geschichte jedenfalls: Der Wandel geschieht.

Die Welt verändert sich, und wir müssen uns damit abfinden. Vielleicht schaffen wir es sogar, diese Situation zu unserem Vorteil zu nutzen. Uns muss bewusst werden, dass unsere jüngere Geschichte, der Teil also, an den wir uns erinnern oder den wir zumindest aus Erzählungen zu kennen meinen, eine Sonderstellung in der historischen Entwicklung unseres Landes einnimmt.

So konnten einige bereits entwickelte Gebiete in Westeuropa, Nordamerika und Ostasien zwischen den 1950er-Jahren und dem Fall des Eisernen Vorhanges relativ ungestört wirtschaftlich und sozial prosperieren – abgeschottet vom industrialisierten Block der kommunistischen Länder und auf Kosten der Staaten der Dritten Welt. Mit dem Fall des Eisernen Vorhanges, dem wirtschaftlichen Aufstieg von ehemaligen Entwicklungsländern und einer fortschreitenden weltweiten Arbeitsteilung endete jedoch das kurzfristige Dasein im Elfenbeintürmchen der Geschichte.

Wir sehen uns nun vor einen massiven weltweiten Wettbewerb gestellt. Neue Herausforderungen machen ein rechtzeitiges Handeln notwendig. Momentan haben wir im globalen Konkurrenzkampf noch eine verhältnismäßig gute Position. Wir können zwar nicht mit niedrigen Löhnen beziehungsweise Produktionskosten anderer Staaten mithalten, was wir als Gemeinschaft jedoch bisher erreicht haben, ist unsere Stärke:

Österreich hat eine ausgezeichnete Infrastruktur, die weltweit ihresgleichen sucht. Unser Land hat eine starke Mittelschicht sowie ein (noch) aktives Unternehmertum. Der Bildungsgrad unserer Bevölkerung ist überdurchschnittlich hoch, die sozialen Unterschiede hingegen verhältnismäßig gering. Im Gegensatz zu vielen anderen Staaten haben wir bereits Hunderttausende Migranten in den vergangenen Jahrzehnten mehr oder weniger erfolgreich integriert.

Wertvolle Erfahrungen

Wie auch immer man dies sehen möchte, wir können jedenfalls auf wertvolle Erfahrungen zurückgreifen. Diesen Vorteil haben andere Länder nicht.

Es ist für uns nun entscheidend, unseren Platz in der Welt zu definieren. Wir können uns die Vergangenheit, oder eine romantisierende Vorstellung davon, auch nicht herbeizaubern. Stattdessen sollten wir uns auf unsere Stärken und auf Innovation konzentrieren.

Dabei werden wir auch etwas tun müssen, das wir in dieser Form noch nie bewusst taten: Wir müssen nicht nur die Abwanderung talentierter und gebildeter Österreicher ins Ausland verhindern, wir sollten uns auch aktiv bemühen, hochqualifizierte Menschen zu uns zu bringen, damit diese ihre Ideen oder Vorstellungen in Österreich verwirklichen können. Eine kulturell vielfältige Gesellschaft könnte viel dazu beitragen. Man kann sich dabei die Frage stellen, warum denn so viele gut ausgebildete Menschen aus allen Teilen der Welt in die USA, nach Kanada oder nach Australien ziehen.

Neue Bürger, neue Ideen

Die Antwort liegt nicht nur in staatlichen Anreizsystemen. Menschen integrieren sich schneller in eine Gesellschaft, in der sie die realistische Chance haben, als vollwertige Mitbürger akzeptiert zu werden. Migranten finden in einem solchen Umfeld auch leichter eine neue Heimat. Mit jedem Neuankömmling kommen auch neue Ideen ins Land.

Es liegt natürlich in erster Linie an den Neuankömmlingen, diese zu verwirklichen. Wir können aber entscheidend zu deren – und damit auch zu unserem – Erfolg beitragen, indem wir neue Mitbürger auch als diese akzeptieren. Fremde in Österreich sollten die Chance bekommen, nach einer gewissen Zeit in unserem Land auch als Österreicher anerkannt zu werden, und das nicht nur auf dem Papier.

Klassische Einwanderungsländer können uns dabei helfen, unseren Umgang mit den Neuankömmlingen zu überdenken. Es gibt dort beispielsweise nur eine geringe sprachliche Ausgrenzung. Migranten, die beispielsweise in Australien zu einem Teil der Gesellschaft werden wollen, aber keinen lokalen Dialekt oder vielleicht auch nur gebrochen Englisch sprechen, werden trotzdem als Australier akzeptiert.

Diese Akzeptanz erleichtert nicht nur die Eingewöhnung in das neue Umfeld, sondern trägt auch zum Abbau sozialer Spannungen bei. Es ist also sinnvoll, sich in Einwanderungsfragen an Gesellschaften zu orientieren, die damit schon mehr Erfahrung haben.

Eine Karriere in Australien

Zu guter Letzt möchte ich die Geschichte eines typischen „Wirtschaftsflüchtlings“ aus Polen wiedergeben, die nach einigen Jahren in Deutschland in den 1990er-Jahren nach Australien auswanderte und dort eine Karriere als Immobilienmaklerin machen konnte.

Auf meine Frage, ob sie nicht vielleicht mit dem Gedanken spiele, wieder in ihre Heimat Polen oder vielleicht sogar nach Deutschland zurückzugehen, antwortete sie mit ihrem starken polnisch-englischen Akzent: „Auf keinen Fall. In Polen wäre ich nur eine Ausländerin und in Deutschland nur eine Polin. Allein hier bin ich Australierin.“

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Philipp Strobl studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Innsbruck; derzeit forscht er an der Swinburne University of Technology in Melbourne/Australien. Er ist Autor verschiedener Bücher, Artikel und Radiodokumentationen zur Migrationsgeschichte und zur österreichischen Zeitgeschichte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2017)

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