Vojislav Šešelj – von der Anklagebank ins Präsidentenamt

Der Ultranationalist führt in den Umfragen für die Präsidentenwahl im April.

Eine Sau durchs Dorf treiben gehört zum medialen Geschäft. Je größer die Sau, desto mehr Auflage und desto mehr Quote. Die Sau aber, die momentan allerorts durch die Dörfer getrieben wird, hat geradezu historische Ausmaße.

Donald Trump bestimmt seit Wochen die internationalen Schlagzeilen – berechtigterweise. Ein Mann, der auf dem mächtigsten Stuhl der Welt sitzt, der Menschenrechte mit Füßen tritt und nicht davor zurückschreckt, Gespenster aus der Vergangenheit wieder wachzurütteln, indem er konfessionelle, ethnische und rassische Konflikte herbeibeschwört, hat die volle Konzentration der Medien verdient. Da können dann schon Ereignisse aus anderen Teilen der Welt die Aufmerksamkeit der Medien einbüßen. Ein Blick nach Serbien wäre derzeit aber notwendiger denn je.

Denn dort liegt laut Umfragen zu den am 9. April angesetzten Präsidentschaftswahlen der Ultranationalist Vojislav Šešelj an erster Stelle. Laut einer Umfrage, die dem serbischen Politikbeobachter Milan Nikolić vom Belgrader „Center for Policy Studies“ vorliegt, kann er den amtierenden Präsidenten, Tomislav Nikolić, besiegen.

Zunehmende Verunsicherung

Das führt innerhalb der Serbischen Fortschrittspartei (SNS), die Nikolić mitbegründet hat, zu zunehmender Verunsicherung. Einige SNS-Mitglieder überlegen bereits, ob nicht der beliebte Ministerpräsident Aleksandar Vučić statt Nikolić ins Rennen um das Präsidentenamt gehen sollte. Von einem Zwist innerhalb der Partei ist die Rede. Und dieser Zwist nützt Šešelj und treibt seine Umfragewerte weiter in die Höhe.

Den Wahlkampf begann die SNS, indem die Vučić-Regierung vor ein paar Wochen einen Zug mit der Aufschrift „Kosovo ist Serbien“ Richtung Kosovo rollen ließ. Die Strategie dahinter war klar: nationalistische Gefühle aufwühlen, indem alte Wunden aufgekratzt werden. Vor ein paar Tagen wurde auch das zweite Dauerthema der SNS aufgewärmt: Sicherheit.

Modernisierung des Militärs

Durch Gaben in Form von Flugzeugen und Panzern aus Russland und Weißrussland wird das serbische Militär modernisiert. Dass das den Nachbarn nicht besonders gefällt, ist klar – ist aber ein inhärenter Teil der Wahlkampfstrategie. Wenn sich unbeliebte Nachbarn auf den Schlips getreten fühlen, freut das die rechtsgesinnte Wählerschaft der SNS. Aber dennoch scheint diesmal die Strategie nicht ganz aufzugehen.

Šešelj setzt im Wahlkampf auf dieselben Themen wie die SNS. Die soziale und ökonomische Unzufriedenheit im Land heizt er mit nationalistischen und sicherheitspolitischen Parolen an – und das sogar radikaler und vehementer als die SNS. Gegenüber dem in den vergangenen Jahren profillos wirkenden Nikolić punktet er mit Charisma und der Aura des Unbeugsamen, dem sogar das Haager Tribunal nichts anhaben kann.

Die SNS scheint diesmal mit ihrer Strategie überfordert – ja sie macht damit eher Werbung für Šešelj. Das assoziierte Mitglied der Europäischen Volkspartei ist drauf und dran, mit ihrer Wahlkampagne einem der – zwar vom Haager Tribunal vergangenes Jahr freigesprochenen (die Anklage legte Berufung ein) – Architekten der Jugoslawien-Kriege den Weg ins Präsidentenamt zu bereiten.

Die serbische Präsidentschaftswahl sollte langsam in den Fokus der internationalen Aufmerksamkeit rücken. Denn ein Šešelj im Präsidentenamt mit einem modernisierten Militär könnte den Balkan schlimmstenfalls wieder in die 1990er-Jahre zurückwerfen.

Siniša Puktalović studierte Politikwissenschaft an der Uni Wien sowie Journalismus und Neue Medien an der FH Wien. Der 1982 in Osijek in Kroatien geborene freie Journalist lebt und arbeitet in Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2017)

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