Wie man einen Vertrag zurechtbiegt

Der geplante Luxuswohnturm am Heumarkt bringt seine Verteidiger zu kuriosen Übersetzungen und Verdrehungen.

Zwei Buchstaben nur trennen Wahrheit von Unwahrheit. Christoph Chorherr, Planungssprecher der Grünen in Wien, lässt gleich fünf unter den Tisch fallen. Im Gespräch mit Gabriele Eschig, Generalsekretärin der Unesco in Österreich („Die Presse“, 9. 2.), greift er als Verteidiger des Luxuswohnturms am Heumarkt zu einer offensichtlichen Unwahrheit, die seit Jahren auch offiziell verbreitet wird. Auch auf der Website der Stadt Wien ist sie nachzulesen. Wer wollte ihm da etwas vorwerfen?

Der von der Unesco verliehene Welterbe-Status des Historischen Zentrums von Wien, dessen Kernzone zum Schauplatz dieses Luxusinvestments gemacht werden soll, diene, so Chorherr, dem Schutz „eines fortwährenden Wandels von Werken während des zweiten Jahrtausends“. Hinter das Wort „Wandel“ sei noch ein Rufzeichen zu setzen. „Wandel von Werten“ heißt es wiederum unter wien.gv im knappen Beitrag zur Welterbe-Stätte – mit der Behauptung, so hätte das Welterbe-Komitee 2001 den Titel begründet.

Doch nicht der Wandel von „Werten“ zu „Werken“ ist hier das Thema. Die neben dem Text abgebildete Urkunde der Unesco spricht, im Zeichen der Welterbe-Konvention, von der Verantwortung für das Zentrum von Wien „which requires protection for the benefit of all humanity“.

Die Kriterien der Unesco

Ein Link unter der Urkunde führt zum – englischen – Originaltext der Kriterien für die Zuerkennung dieses Welterbe-Schutzes, für den sich Immer-noch-Bürgermeister Michael Häupl damals persönlich eingesetzt hat: „Criterion (ii): The urban and architectural qualities of the Historic Centre of Vienna bear outstanding witness to a continuing interchange of values throughout the second millennium.“ Das zweite Kriterium konkretisiert die drei hauptsächlich vertretenen Perioden: Mittelalter, Barock und Gründerzeit. Das dritte bezieht sich auf die Bedeutung von Wien als „musical capital of Europe“, was mit „europäische Hauptstadt des Musicals“ ebenso wenig korrekt übersetzt wäre wie „interchange“ mit „Wandel“.

Die Frage der Bauhöhe

Nun mag man ja nicht jedem Planungssprecher einer Partei zumuten, die Website der Stadt zu hinterfragen und sich die Feinheiten des Unterschieds zwischen Interchange (Austausch) und Change (Wandel) zu eigen zu machen.

Dieser Unterschied wird hier jedoch zu einem diametralen Gegensatz: Einmal geht es um das Verstehen und den Schutz von Beziehungen zwischen Architekturen und Stadträumen unterschiedlicher Epochen (was eben mehr ist, als der Denkmalschutz); zum anderen geht es um einen beliebigen Wandel, der als Naturrecht auftritt, als wären nicht jeweils konkrete Fragen zu beantworten – zum Beispiel: Welche Bauhöhe ist in einem konkreten Kontext die richtige?

Die legistische Kette von der Welterbe-Konvention, Bundesgesetz seit 1993, bis zum Beschluss der Unesco von 2013, erneuert 2016, ist lückenlos. Fazit: Die Bauhöhe am Heumarkt darf die Bestandshöhe des Hotels nicht überschreiten. Das klingt simpel.

Es ist die einzige diesbezügliche Festlegung, die die einfache, aber unvermeidbare Frage nach der Bauhöhe nicht unter dem Diktat willkürlicher Gewinnerwartungen beantwortet hat – einem Diktat, das den gesamten Prozessaufwand letztlich zu einer entbehrlichen Farce degradierte, die im sprichwörtlichen Vergleich von Äpfeln und Birnen enden musste. Statt Austausch zu pflegen und zu verstehen, tauscht man Werte und Werke gegen ein paar ephemere „Geschenke von Investors Gnaden“ ein.

Andreas Vass ist Architekt in Wien (Hubmann Vass Architekten), Lehrtätigkeit an zahlreichen in- und ausländischen Hochschulen; Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Architektur.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2017)

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