Stadtplanung in Wien: Hoch hinaus am Heumarkt

Beharrung prägt die Debatte über das derzeit heftigst umstrittene Wiener Bauprojekt.

Öffentlich relevante Leistungen, zum Beispiel die Gesamtsanierung der Einrichtungen des traditionellen Wiener Eislaufvereins und damit dessen Sicherstellung über die nächsten Jahrzehnte, die freie Zugänglichkeit und Durchwegung eines großen Privatareals für das Wiener Stadtpublikum von Frühjahr bis Herbst, eine enorme Aufwertung des Kongressangebots mitten im Zentrum von Wien, die Anreicherung der Musiknutzungen im Zusammenhang mit dem Konzerthaus, und das alles in Kombination mit Sport- und Freizeit sind die Qualitäten des heftig umstrittenen Projekts am Wiener Heumarkt – und es ist relativ hoch.

Rhetorisch brillant wird das Projekt in Christian Kühns Beitrag im „Spectrum“ (11. 2.) als „bis zur Kenntlichkeit entstellt“ beschrieben, um dessen seriöse Überarbeitung und Präzisierung im Verlauf des Vermittlungsverfahrens zu ignorieren, genauer: zu denunzieren. Die Behauptung, der Ersatzneubau des Intercont-Hotels stelle eine ungenutzte Chance dar, verkennt vor allem die Qualität der städtebaulich-räumlichen Komposition im Umfeld des Stadtparks.

Von Kühn kommt der Vorwurf eines „von privaten Interessen dominierten Städtebau(s) nach wirtschaftlichen Grundsätzen“: Wann in der Geschichte hätte sich Stadt außerhalb von Wirtschaftskreisläufen bewegt? Und die Forderung, die Stadtplanung Wiens müsse eben die Zielrichtung, die Rahmenbedingungen, ja sogar die genauen Konturen Wiens vorgeben, geht ins Leere.

Ein dynamischer Prozess

Stadt ist ein dynamischer Prozess und nicht einfach das Resultat obrigkeitlicher Planungen. Es gibt jedoch sehr wohl eine Fülle von Vorgaben, die die Entwicklung steuern und die die Verantwortlichen seriös bearbeiten. Wenn schon, liegt das Problem eher darin, dass dies offensichtlich nicht für Fachleute, geschweige denn für die Bürger der Stadt Wien erkenntlich ist – da muss man tatsächlich etwas unternehmen. Dass ein Vertreter der Unesco seit 2012 immer klar gesagt hat, er könne kein Projekt akzeptieren, das über die Höhe des Intercont hinausragt, oder eine Architektenkammer den Architekturwettbwerb von 2014 nur „mit Vorbehalt unterstützt“, wird unter dem Stichwort „unangenehmer Realitäten“ aufgezeichnet.

Wiener „Höhen-Versteifung“

Vor welchem Hintergrund sollen diese Leute das denn postulieren dürfen? Sollten tatsächlich Einzelmeinungen die jahrelange intensive Befassung verschiedenster Experten und Gremien desavouieren und außer Kraft setzen können?

Da gibt es sehr viel zu hinterfragen. Die Versteifung auf „no centimeter more“, also allerhöchstens die Höhe des jetzigen Intercont-Hotels, ist eine reine Schutzfestellung minder besseren Wissens, ist eben reines Beharren, beziehungsweise Resultat eines fachlichen Defizits, produktive Fantasie zu entwickeln, was an diesem Standort möglich wäre.

Kühn stellt fest, dass selbst eine Überfülle an „qualitätssichernden Prozessen kein gutes Ergebnis garantiert“, und dass es „bei keinem anderen Projekt [. . .] in Wien je so viele informelle Verfahrensschritte gegeben [hat], um die Grundlage für die Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung zu finden“.

Ja, wer bringt dafür die Fantasie auf? Ich könnte durchaus, werde es aber nicht tun, weil ich anderer Meinung bin. Wenn sich jemand traut, bitte gern. Hätte man also lediglich die Kriterien des Herrn Kühn anwenden sollen?

Dipl. Arch. (ETHZ) Christoph Luchsinger (*1954 ) ist o. Professor am Institut für Städtebau, Landschaftsarchitektur und Entwerfen der Technischen Universität Wien. Er leitet Büros in Wien und Luzern, war am Wiener Hochhauskonzept beteiligt und leitete das Vermittlungsverfahren auf dem Areal Intercont und Eislaufverein.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2017)

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