Wie viel Europa braucht der Islam?

Das Zusammenleben in Österreich kann nur auf der Basis eines aufgeklärten Islam gelingen.

Mehr als sechs Prozent der europäischen Gesamtbevölkerung sind Muslime, laut Studien soll sich der Anteil bis 2050 auf fast zehn Prozent verdoppeln. In Österreich leben derzeit knapp 700.000 Muslime, Tendenz ebenfalls stark steigend. Szenarienanalysen gehen davon aus, dass ihr Anteil in den nächsten 30 Jahren auf bis zu ein Viertel der Gesamtbevölkerung steigen könnte.

Grenzen der Religionsfreiheit

Gleichzeitig gibt es kein klares Bild davon, was den Islam in Europa und Österreich ausmacht, und wer für ihn sprechen kann. Häufig kommen die Meinungsführer der öffentlichen Debatte, gelegentlich sich selbst sogar als unabhängige Experten darstellend, von den extremen Rändern islamischer Strömungen. Ihr Ziel ist zu oft nicht das Ankommen der Muslime in Österreich, sondern die Verteidigung von Traditionen und die Durchsetzung eigener Interessen. Viele offene Fragen des alltäglichen Zusammenlebens wie etwa der Schwimmunterricht für muslimische Mädchen, die Diskussionen zur Verschleierung, insbesondere auch bei Kindern, oder Fragen zur Sexualität werden so zu oft mit einem grundsätzlichen Verweis auf Glaubensregeln abgeblockt oder mit Hinweis auf die Religionsfreiheit für unantastbar erklärt. Anstatt sich mit konkreten Fragestellungen zu beschäftigen, verharrt man bei Diskussionen fortschrittslos in Grundsatzbotschaften. Gerade die steigende Zahl der moderaten und aufgeklärten Stimmen im Islam findet in Österreich noch zu wenig Gehör. Das schadet dem Islam und dessen Bild in Österreich und schürt bei der Bevölkerung ein Gefühl der Verunsicherung. So beurteilen laut dem aktuellen Integrationsbarometer mehr als sechs von zehn Befragten das Zusammenleben zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in Österreich als negativ.

Vor dem Hintergrund der wachsenden Zahl an Muslimen – aktuell vor allem aus Syrien oder Afghanistan – stellt sich die Frage, wie ihre Integration in einem säkularen, wenngleich religionsfreundlichen, demokratischen Staat besser gelingen kann. Damit verbunden dreht sich vieles um die Frage: Wie viel Europa braucht ein europäischer Islam? Hierbei ist zum einen die Trennung von Politik und Religion zentral: Religionsfreiheit hat Grenzen. Der Rechtsstaat ist in Österreich der Maßstab für das Zusammenleben. Politische Einflüsse aus Herkunftsländern durch und auf islamische Verbände und Organisationen in Europa wirken fatal. Mit dem 2015 verabschiedeten Islamgesetz hat Österreich einen Schritt gesetzt, der die laufende Finanzierung islamischer Religionsgesellschaften aus dem Ausland verbieten soll. Das ist nur ein Teil der Lösung. Die problematische Vermischung von Islam und Politik ist zunehmend stärker sichtbar, beispielsweise bei den Türkei-Demonstrationen nach dem Putschversuch, die im Kern von „Allahu Akbar“- Rufen geprägt waren.

Moderate Kräfte stärken

Zum anderen müssen auch gemäßigte Kräfte, die für einen europäisch geprägten, moderaten und toleranten Islam eintreten, gestärkt werden. Dazu bedarf es auch der Entwicklung einer österreichischen islamischen Theologie als Fundament. Das von der Universität Innsbruck entwickelte Islamportal leistet hierbei einen Beitrag: Renommierte Theologen und Experten erarbeiten Informationen zu einem europäischen Islam in Österreich und beantworten konkrete Fragestellungen des Zusammenlebens in Verbindung mit dem Islam auf Basis von Demokratie und Rechtsstaat. Damit wird der breiten Öffentlichkeit die Möglichkeit gegeben, sich unabhängig und objektiv über den Islam und seine Inhalte zu informieren. Der Islam in Europa befindet sich wohl erst am Anfang eines langen Weges.

Franz Wolf ist Geschäftsführer des Österreichischen Integrationsfonds.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2017)

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