Chancengleichheit ist lang noch kein Selbstläufer

Viele Medien zeichnen ein Gesellschaftsbild, in dem Männer das Spielfeld dominieren. Eine grobe Verzerrung der Wirklichkeit.

Im Jahr 2016 entscheiden sich die USA für Donald Trump als Präsidenten. Ein Präsident, der regelmäßig bis weit über die Schmerzgrenze hinaus polarisiert. Unter anderem, indem er die Marke Trump ganz bewusst mit misogynen Wortspielen schärft, seine Frauenverachtung offen auslebt und diese dadurch – und das ist ein zentraler Punkt – von oberster Stelle legitimiert.

In Russland muss sich frau nun dank aktueller Gesetzesänderung häusliche Gewalt gefallen lassen. In Polen verlangen Konservative ein generelles Abtreibungsverbot. Das geht vielen nicht weit genug, selbst Empfängnisverhütung ist den dort einflussreichen Kirchenvertretern ein Dorn im Auge. In Teilregionen Russlands wird im vergangenen Jahr die Notwendigkeit der Genitalverstümmelung bei Mädchen diskutiert.

In Österreich werden nach den Übergriffen in Köln Verhaltensempfehlungen für Frauen abgegeben – zur Erinnerung, bei den Tätern handelte es sich ausschließlich um Männer.

Erfolgsgeschichte Feminismus

Wer vor diesem Hintergrund ernsthaft behaupten kann, Engagement in der Frauenpolitik und in puncto Chancengleichheit braucht es nicht mehr, weil diesbezüglich schon alles erreicht wurde, verdreht (milde formuliert) entweder die Wirklichkeit oder kratzt nur an der Oberfläche. In der westlichen Welt sehen wir uns gern in der Vorreiterrolle in Sachen Emanzipation, und tatsächlich wurde in den vergangenen hundert Jahren unglaublich viel für und von Frauen erreicht. Der Feminismus ist eine Erfolgsgeschichte, ohne die vieles von dem, was heute als selbstverständlich erscheint, undenkbar wäre.

Aber Chancengleichheit ist nun einmal kein Selbstläufer, auch dann nicht, wenn sie gesetzlich verankert ist. Die oben genannten Beispiele entsprechen nicht dem Verständnis einer aufgeklärten, modernen, westlichen Gesellschaft – sie klingen vielmehr wie Relikte aus vergangenen Tagen. Tatsächlich sind sie Resultat einer schleichenden Entwicklung, die Frauen wieder mehr aus entscheidungsrelevanten Positionen zurückdrängt und sie in ihrer Selbstbestimmung beschneidet – ein spürbarer Backlash auf unterschiedlichsten Ebenen. In der medialen Debatte fällt dieser besonders deutlich aus.

Für gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Entwicklungen sind Medien zuverlässige Gradmesser. Diese stehen vor zwei Herausforderungen: Erstens die Realität zu spiegeln und zweitens dem Rezipienten auf dieser Basis eine fundierte Meinungsbildung zu ermöglichen. Die Analyse der einflussreichsten Medien in Österreich zeigt, Rollenklischees halten sich auf medialer Ebene hartnäckig. Sie werden täglich – vor allem von den einflussreichen Meinungsmachern im Boulevard – aufs Neue untermauert und einzementiert. Gezeichnet wird ein Gesellschaftsbild, in dem Männer das Spielfeld dominieren. Nicht nur im Sport, insbesondere auch in einflussreichen Positionen wie Politik, Wirtschaft oder Forschung.

Auf den Körper reduziert

Bloß ein Abbild der Realität? Nein, in zahlreichen Fällen eine grobe Verzerrung der Wirklichkeit! Ein Drittel der Unternehmen in Österreich wird von Frauen geführt, es gibt viele erfolgreiche Sportlerinnen, engagierte Politikerinnen – die Liste lässt sich lang fortsetzen – nur bleiben diese Frauen in der medialen Debatte oft hinter dem Vorhang. Frauen werden im reichweitenstarken Boulevard meist kompetenzlos inszeniert und überwiegend auf Körper und Schönheit reduziert. Die Schieflage setzt sich im Themensetting fort – kaum Frauenpolitik, dafür eine breite Bühne für Chauvinisten, viel Wirbel um die Burka, aber keine Lösungen bei drängenden Alltagsfragen.

Medien können aber auch regulativ wirken. Als in Oberösterreich Ende 2015 eine frauenlose Landesregierung angelobt wird, ist dies der Fall. Der Unmut der Medien ist groß – selbst über die Grenzen Österreichs hinaus. Als der oberösterreichische Landeshauptmann, Josef Pühringer, Mitte Februar 2017 seinen Rückzug ankündigt, gibt er zu, dass es damals ein schwerwiegender Fehler war, keine Frau ins Regierungsteam geholt zu haben. Schwerwiegend vor allem deshalb, weil man nicht erwartet hätte, dass der (mediale) Unmut so lang anhalten und so vernichtend ausfallen würde.

Und hier liegt der Ball letztlich bei der Politik. Die mittlerweile verstorbene Frauenministerin Sabine Oberhauser wurde bei ihrem Amtsantritt als Frauenministerin gefragt, wie ihre Diagnose zur Situation der Frauen in Österreich aussieht. Ihre Antwort fiel damals recht deutlich aus: „Ich würde die Situation der Frauen in Österreich mit einer chronischen Krankheit vergleichen. Seit Johanna Dohnal haben viele Frauenministerinnen versucht, diese Krankheit zu heilen.“

Gelungen ist das nicht. Seit Jahrzehnten beackert man in der Frauenpolitik die gleichen Felder – von der Umverteilung unbezahlter Arbeit bis zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungsgremien. Das ermüdet die Betroffenen, die Politik, die Medien. Solange der politische Tenor lautet, „Die Frauenministerin ist für Frauenpolitik zuständig, und andere kümmern sich um die ,wichtigen‘ Themen“, ist Frauenpolitik zum Scheitern verurteilt. Chancengleichheit geht jedes Ministerium an und betrifft als Querschnittsmaterie alle. Es wäre naiv zu glauben, Chancengleichheit in der Gesellschaft lasse sich über die politische Ebene erreichen. Aber die Politik kann mit gutem Beispiel vorangehen und die notwendigen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Beides tut sie derzeit nicht oder zu wenig.

Regierung mit wenig Frauen

Es ist hoch an der Zeit, frauenpolitische Inhalte wieder mit mehr Nachdruck aufzugreifen. Nicht bloß als Alibi-Aktion zum Weltfrauentag, an dem sich die Politik mit frauenpolitischen Ansagen inszeniert, ohne einen Monat später noch zu wissen, mit welchen Versprechungen sie sich damals geschmückt hat. Dass die Regierung aktuell den niedrigsten Frauenanteil seit vielen Jahren aufweist, ist eine dramatische Entwicklung. Frauen auszuklammern ist nicht nur unfair, es ist auch unklug. Politik braucht fähige Männer und Frauen, die gemeinsam Herausforderungen meistern. Vielfalt ist dabei kein Akt der Mildtätigkeit, sondern eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Notwendigkeit, die sich – das zeigen zahlreiche Studien – auch rechnet.

Die derzeit beobachtbaren Rückschritte mobilisieren aber auch eine Gegenbewegung. Weltweit gehen Männer und Frauen, darunter viele prominente Persönlichkeiten, für Chancengleichheit auf die Barrikaden. Der Weltfrauentag ist wichtig, um das Scheinwerferlicht zumindest für eine Woche auf die immer noch bestehende Problematik zu richten und bleibt damit auch im Jahr 2017 ein Stachel im Fleisch – für die Politik, für Medien, für unsere Gesellschaft.

DER AUTOR

Maria Pernegger ist Politik- und Medienanalytikerin bei der Agentur Media-Affairs mit den Arbeitsschwerpunkten Bundes- und Gesellschaftspolitik. Sie ist Leiterin diverser Forschungsprojekte im gesellschaftspolitischen Kontext und Autorin von „Frauen – Medien – Politik“, einer bundesweiten Studie über Präsenz und Sichtbarkeit von Frauen(-politik) in Medien.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2017)

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