Nicht die heutige Türkei soll Mitglied werden

Trotz Finanzkrise wächst die Wirtschaft in der Türkei. Wir wollen die EU stärken, nicht schwächen.

Zwischen der Türkei und Österreich gibt es im Allgemeinen keine großen Probleme. Die einzige Meinungsverschiedenheit ist die Ansicht über den EU-Beitritt der Türkei. Weil die Ablehnung des Beitritts in keinem anderen EU-Staat so groß ist wie in Österreich (90Prozent), war die Betrachtung dieses Themas eine meiner vorrangigen Beschäftigungen.

Ich glaube nun die Bedenken und Ängste der Österreicher besser zu verstehen. Es zeigen sich Unterschiede zwischen den Menschen, die die Türkei besucht haben und denen, die noch nie in der Türkei waren, genauso wie zwischen jungen und älteren Menschen. Ich habe nun besser verstanden, welche Rolle die Probleme der Integration der vor vielen Jahren als Gastarbeiter nach Österreich eingeladenen Türken bei den Reaktionen spielen.

Die Hauptverantwortung, die negative Ansicht gegenüber meinem Land zu verändern, liegt natürlich bei der Türkei. Genauso bedeutend wie die eigene Präsentation ist es auch wichtig, die richtigen Entscheidungen zu treffen und die richtigen Standpunkte darzulegen. Aber es ist klar, dass – egal ob Türken oder Österreicher – letztendlich jeder dafür verantwortlich ist.

Es gibt verschiedene Themen, die den Österreichern Bedenken bereiten. Ich möchte mich hier nicht dazu äußern. Ich glaube, dass ich das in den letzten vier Jahren schon bei verschiedenen Anlässen getan habe. Es ist nicht möglich, alle zu überzeugen. Wichtiger als das Überzeugen ist es, den Dialog offenzuhalten.

Zeit für Veränderung

Beim Dialog ist es wichtig, ohne Vorurteile zu handeln und Empathie mit der anderen Seite herzustellen. Ich habe versucht, dies zu machen. Eine Eigenschaft der Österreicher, die mir gefällt, ist ihre Offenheit. Dass sie ihre Meinung aufrichtig, ohne sich zu verstellen, und auf ehrliche Art ausgedrückt haben, hat es mir erleichtert, sie zu verstehen.

Auf der anderen Seite muss ich auch erwähnen, dass ich in der Sichtweise der Österreicher gegenüber der Türkei noch immer Spuren der historischen Dimension gesehen habe.

Ich möchte, dass man den folgenden wichtigen Punkt nicht aus den Augen verliert: Es ist nicht die heutige Türkei, die Mitglied werden soll. Bis dorthin wird sich auch die EU verändern. Wenn die Beitrittsverhandlungen nicht zu Ende geführt werden – denn sie verlaufen momentan ziemlich zäh –, wird die Mitgliedschaft sowieso nicht auf der Tagesordnung stehen. Wenn die Hindernisse überwunden werden und der Moment der Mitgliedschaft gekommen ist, werden beide Seiten gemeinsam entscheiden. Genauso wie die EU-Mitgliedstaaten wird auch die Türkei ihre eigene Entscheidung treffen. Aus diesem Grund fällt auch den Politikern die Verantwortung zu, den Beitrittsprozess nicht aus innenpolitischen Beweggründen zu missbrauchen.

Wir möchten mit unserer Mitgliedschaft die EU nicht schwächen, sondern stärken. Wir wollen, dass die EU durch Einbindung der Softpower der Türkei auf internationaler Ebene in institutioneller, wirtschaftlicher und politischer Sicht stärker wird. Wir möchten dabei auch den Zusammenhalt innerhalb der EU bewahren. Die Türkei, die ihren wirtschaftlichen Aufschwung trotz Finanzkrise fortsetzt, wird der EU nicht wie im behaupteten Maße eine wirtschaftliche Last bringen. Während in den 80er- und 90er-Jahren uns hauptsächlich wirtschaftliche Gründe entgegengehalten wurden, beobachten wir jetzt, dass politische Fragen in den Vordergrund treten.

Ich weiß, dass dies schöne Worte sind. Wichtig ist, dass man uns die Möglichkeit gibt, das darzulegen. Wir haben Zeit. Ich bin mir sicher, dass wir ein Resultat zum Vorteil aller erreichen, wenn wir nicht schon jetzt eine Diskussion bezüglich einer zukünftigen Entscheidung beginnen.

Selim Yenel war die letzten vier Jahre türkischer Botschafter in Wien. Jetzt leitet er die Europa-Sektion des Außenministeriums in Ankara.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2009)

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