Gastkommentar

Viele Hürden beim Umbau der Sozialversicherung

Mehr oder weniger Krankenversicherungen – oder aber gleich gar keine?

Die Regierung lässt eine „Effizienzstudie“ erstellen, die sich mit Fragen der Steuerung im Bereich der Sozialversicherung beschäftigt. Mittlerweile hat die Industriellenvereinigung den Auftrag zu einer solchen Studie gegeben, ebenso die bundesweit tätigen Krankenversicherungsträger (SVA, BVA).

Beide Gutachten verzichten auf eine umfassende politikwissenschaftliche Analyse. Die Steuerungsstrukturen und Institutionen in Österreich haben eine Tradition in der gesellschaftlichen Konfliktbewältigung. Der notwendige Umbau der Gesundheitsversorgung stellt die Dreifaltigkeit der Zuständigkeiten (Bund, soziale Krankenversicherung und Länder) zur Schau und legt damit Konflikte offen, die ihre tiefen Wurzeln in der Ersten Republik haben.

Reformen im Sozialversicherungswesen erfordern politischen Mut und Lust an Visionen. Mut deshalb, weil öffentliche Debatten zu führen sind über Machtverhältnisse in den Strukturen der Sozialversicherung. Visionen deshalb, damit der Umbau mit konkreten Versorgungszielen verknüpft wird.

Steuerungsreformen haben dann Sinn, wenn sie helfen, die Versorgung zu verbessern, ihre progressive Weiterentwicklung fördern und administrative Kosten gering halten. Ohne diese wohlfahrtsstaatlichen Zielsetzungen werden „Lagerinteressen“ siegen und die Rolle der Krankenversicherung als wichtiger Anwalt der Versicherten Makulatur sein.

Reformen waren Stückwerk

Bereits der OECD-Bericht 2011 empfahl eine Straffung der Steuerung des österreichischen Gesundheitssystems. Reformen konzentrieren sich auf die Leistungsseite, waren aber immer Stückwerk und kompromissgetrieben. Seit Jahren ist die Gesundheitsplanung auf das gesamte Gesundheitssystem ausgedehnt ohne nennenswerte Verbesserungen für die Versorgung. Spätestens seit 2008 geht die Angst um, dass Debatten zur Steuerung des Gesundheitssystems Regierungen zu Fall bringen können. Die Reform 2013 ist ein Lehrstück für Konfliktverwaltung, auch wenn einige ihrer Ansätze richtig sind und schemenhaft Gestalt annehmen.

Zusammenführen der Mittel

Im bestehenden ordnungspolitischen Rahmen gibt es mehrere Möglichkeiten, eine soll hier hervorgehoben sein. Das Zusammenführen von Finanzmitteln zur Verbesserung der Angebote in der ambulanten Versorgung ist ein Gebot der Stunde. Synchron mit dem föderalen Aufbau des Landes wären neun regionale Kassen sinnvoll. Darüber hinaus müssten Bund und Hauptverband eine stärkere Steuerungsfunktion einnehmen, damit regionale Akteure entsprechende Orientierung in der Umsetzung von nationalen Versorgungszielen bekommen.

Dazu braucht es Debatten um die Besetzung der notwendigen Leitungsgremien. Diese Auseinandersetzung hat moderiert und öffentlich stattzufinden. Österreichs Gesundheitssystem ist großzügig mit Finanzmitteln und Gerätschaften ausgestattet. Im europäischen Vergleich liegt Österreich im Spitzenfeld. Mit diesen Ressourcen könnten Patienten besser betreut und gesünder erhalten werden.

Strategische Maßnahmen sind zu treffen, Verschwendung zu vermeiden. Diese entstehen gerade durch den Dschungel von Zuständigkeiten und fehlender Koordinierung. Verschwendung ist unethisch und verdirbt den Ruf eines Gesundheitssystems. Die nicht ausreichend aufgearbeiteten Geschehnisse der Zwischenkriegszeit blockieren ja insgesamt Verwaltungsreformen im Wohlfahrtsstaat, nicht nur sinnvolle Reformen der Steuerung im Gesundheitswesen.

Maria M. Hofmarcher-Holzhacker, Ökonomin, Expertin für Gesundheitssysteme. Gründerin HS&I HealthSystemIntelligence und Research Associate Medizinische Universität Wien, Abteilung für Gesundheitsökonomie.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2017)

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