Gastkommentar

Zwei Schlüssel zum Erfolg des Emmanuel Macron

Frankreich zeigt: Nicht durch Anbiederung, sondern mit klaren Gegenpositionen kann man Rechtspopulisten Einhalt gebieten.

Marine Le Pen, die Kandidatin des Front National, hat bei der Stichwahl um die französische Präsidentschaft mehr Stimmen denn je gewonnen, sie fiel aber noch weiter hinter die Erwartungen zurück als im ersten Wahlgang. Schon knapp unter 40 Prozent der gültigen Stimmen wären eine Schlappe gewesen; sie erhielt am Sonntag aber nicht einmal 34 Prozent.

Ihr Gegner, der linksliberale Emmanuel Macron, erhielt fast doppelt so viele Stimmen. Und dies, obwohl sich die Konservativen für die Stichwahl zu keiner einhelligen Unterstützung Macrons durchringen konnten und der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon, der im ersten Wahlgang nur knapp hinter Le Pen gelandet war, eine offene Unterstützung für Macron rundweg verweigerte.

In seiner Stellungnahme am Wahlabend hatte Mélenchon allerdings in einem wichtigen Punkt recht: Le Pen wurde eigentlich nur dritte. Denn nach den Stimmen für Macron, noch lange vor jenen für Le Pen, kamen die weißen oder ungültigen Stimmen und die Wahlenthaltungen. Zusammengenommen stehen sie für ein Drittel der Wahlberechtigten.

Marine Le Pen verunsicherte

Freilich musste niemand, der weder Macron noch Le Pen wählte, einen Sieg Le Pens befürchten. Die Meinungsumfragen waren eindeutig und hatten schon bei der ersten Wahlrunde richtig gelegen. Man darf dieses Drittel der Wahlberechtigten daher genauso zur Mehrheit gegen Le Pen dazu zählen, nicht nur zur Minderheit gegen Macron.

Außerdem war die Wahlbeteiligung nur für französische Verhältnisse schlecht, im internationalen Vergleich jedoch respektabel. Mit über 74 Prozent lag sie etwa so hoch wie in Österreichs letzter Nationalratswahl und deutlich höher als in den beiden letzten Bundestagswahlen (70 Prozent) oder jenen zum britischen Unterhaus (65 bzw. 66 Prozent); ganz zu schweigen von den letzten beiden US-Präsidentschaftswahlen (55 Prozent). Wenn Macron nur von 43 Prozent der Wahlberechtigten gewählt wurde, so können Staats- und Regierungschefs anderer großer Demokratien von diesem Wert also oft nur träumen.

Warum sprachen sich die Franzosen so deutlich gegen den massiv gewachsenen Rechtspopulismus aus? Intoleranz, Abschließung von außen, Aggressivität finden eben nicht nur viel Zulauf, sondern stoßen noch immer noch mehr Menschen ab. Darüber hinaus verunsicherte Le Pen einen Teil ihrer potenziellen Wähler nicht nur durch ihre Euro-Austrittswünsche, sondern auch durch ihr Verhalten in dem entscheidenden TV-Duell gegen Macron.

Nach Jahren der Versuche, das rechtsextreme Image des Front National loszuwerden, beging sie einen ähnlichen Fehler wie Norbert Hofer im letzten TV-Duell mit Alexander Van der Bellen, nur noch gravierender: Sie zeigte sich unerhört aggressiv und undiszipliniert, zudem auch noch unzureichend vorbereitet. Damit weckte sie auch bei einem Teil der eigenen Sympathisanten Misstrauen. Und sie lief Macron ins Messer. Einige Momente erinnerten an das legendäre Fernsehduell, in dem Erhard Busek Jörg Haider frontal angriff, damit aus dem Konzept brachte und niederredete.

Damit kommen wir zum entscheidenden Punkt: Noch eindrucksvoller als Van der Bellens Sieg über Hofer zeigt Macrons Erfolg: Man kann auch Wahlen gewinnen, ohne mit dem radikalen Rechtspopulismus Kompromisse zu machen. Man muss ihm nicht in Grenzen entgegenkommen, wie Macrons Vor-Vorgänger Nicolas Sarkozy das 2007 getan hat und man es hierzulande inzwischen sogar in Teilen der Sozialdemokratie tut. Man kann ihn auch besiegen, indem man ihm in voller Breite entgegentritt.

Mehr liberal als links

In Frankreich gewann ein Präsidentschaftskandidat zwei Drittel der Stimmen, der ein linksliberales Programm vertritt, das für französische Verhältnisse mehr liberal als links ist, und der sich nicht nur zur kulturellen Vielfalt und Offenheit seines Landes bekennt, sondern auch zur Europäischen Union und deren Vertiefung.

Es setzte sich ein Politiker durch, der furchtlos klarstellte, dass es nicht „eine französische Kultur“ gibt, „sondern eine offene, vielfältige Kultur in Frankreich“; der besser beschützte EU-Außengrenzen will, jedoch keine unmenschliche Flüchtlingspolitik; der die Europäische Union stärken und nicht schwächen will; der den Auswüchsen der Globalisierung durch mehr Europäisierung abhelfen will statt durch Nationalprotektionismus; der die Idee eines nationalen Alleingangs von knapp 67 Millionen Franzosen (pardon: Das sind mehr als Briten . . .) gegenüber 1,3 Milliarden Chinesen als das bezeichnet, was sie ist – nämlich Unfug. Seit Francois Mitterrand hat kein französischer Präsidentschaftskandidat mehr ein so offenes, optimistisches Bekenntnis zu Europa abgelegt wie Macron.

Erneuerer der Politik

Der zweite Schlüssel zu Macrons Erfolg: Er verstand es, sich zu einem Erneuerer der Politik zu stilisieren. Macron profitierte also nicht nur von der Ablehnung des radikalen Rechtspopulismus durch die Mehrheit der Franzosen, sondern auch von ihrer Unzufriedenheit mit den Parteien und Politikern, die sich die vergangenen 30 Jahre an der Macht abgewechselt haben. Wobei er die Le Pens geschickt als Trabanten und Profiteure jenes von ihnen öffentlich so erbittert bekämpften und verteufelten Systems hinstellte.

Dabei profitierte Macron selbst davon, dass die Unzufriedenheit mit den traditionellen Rechts- und Linksparteien längst über die Wutbürger hinausgeht und weite Teile des traditionellen Bürgertums erfasst hat. Macron verkörpert nämlich geradezu mustergültig das Bürgertum, das von Globalisierung und Europäisierung profitierte. Das immer gleiche Erfolgsrezept: Bildung und Beziehungen. Deshalb wird er eine Hassfigur der Wutbürger bleiben, die sich um Le Pen und Mélenchon sammeln.

Im Grunde erklärt sich das Phänomen Macron daraus, dass das Rechts-Links-Schema durch ein Klassenschema abgelöst worden ist: Globalisierungsgewinner gegen Globalisierungsverlierer, Wirtschafts-, Besitz- und Bildungsbürger gegen Wutbürger. Macron hat es verstanden, das klare Kräfteverhältnis für sich zu nutzen.

Mehr Klarheit in sechs Wochen

Doch wie schafft er diesen Spagat zwischen Politikerneuerung und die traditionellen Links-Rechts-Gräben überschreitende Koalition der Gewinner? Durch einen zur Zeit noch etwas verwirrenden Mix aus „Weder noch“ und „Sowohl als auch“. Und durch eine Wette darauf, dass die Franzosen auch bei den bevorstehenden Parlamentswahlen einen Großteil des Personals auswechseln werden.

So wie Macron die Präsidentschaftswahlen in Wahrheit schon im ersten Durchgang gewonnen hatte, da eine Mehrheit gegen Le Pen im zweiten ohnehin zu erwarten war, so wird sich also erst in sechs Wochen zeigen, ob er für seine Regierung auch die nötige Mehrheit im Parlament gewinnt.

Der Autor

Mag. Dr. Thomas Angerer (* 1965 in Wien) studierte Geschichte und Französistik an der Universität Wien. Er ist Assistenzprofessor für neuere Geschichte an der Universität Wien und Lehrbeauftragter an der Diplomatischen Akademie Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte Frankreichs und die Geschichte der französisch-österreichischen Beziehungen seit 1918 sowie die Geschichte der europäischen Integration. [ Universität Wien ]

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2017)

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