Gastkommentar.

Wenn das Interesse der Wirtschaft mehr zählt als Naturschutz

Investitionen sind gut – aber nicht, wenn dadurch die Natur zerstört wird.

Schneller als gedacht könnte der Hype um den neuen ÖVP-Obmann, Sebastian Kurz, wieder vorbei sein. Dann nämlich, wenn anstelle der Projektionen harte Fakten in Form eines politischen Programms auf den Tisch gelegt werden müssen.

Eine Hoffnung, die sich gerade in Luft auflöst, ist die, dass Kurz das Generationenthema besser als alle anderen verstehe – nämlich alle vorhandenen Ressourcen so einzusetzen, dass sie auch für künftige Generationen erhalten bleiben. Die wertvollste Ressource, über die wir als Tourismusland verfügen, sind das Land Österreich und seine Naturlandschaft selbst. Was aber passiert damit?

Jeden Tag wird in Österreich Boden in der Größe von 30 Fußballfeldern zubetoniert. Politiker aller Farben stimmen freudig zu, weil sie glauben, damit das Allheilmittel zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu haben. Paradebeispiel: die dritte Piste für den Flughafen Wien. Von den 30.000 Arbeitsplätzen, die dadurch geschaffen werden sollen, sind ganze 1000 tatsächlich auf dem Airport vorgesehen. Der Rest ist eine freie Schätzung und beinhaltet auch die angeblich zusätzlichen Wien-Touristen. Das sind jene, die regelmäßig an Sonntagen daran gehindert werden, Arbeitsplätze zu schaffen, weil sie vor verschlossenen Geschäften stehen.

Diffamierte Richter

Mutige Richter haben dem Monsterprojekt dritte Piste aus Umweltschutzgründen Einhalt geboten – und was ist die Reaktion? Die Richter wurden diffamiert, und der damalige Wirtschaftsminister, Reinhold Mitterlehner, fand eine Lösung, wie man die Naturschützer nachhaltig wieder in ihre Schranken weisen kann: Man schreibt den Vorrang von Großprojekten vor dem Umweltschutz einfach in die Verfassung!

Die Hoffnung, dieses Vorhaben würde sich durch Mitterlehners Abgang erledigen, wurde aber nun enttäuscht. Als eines der wenigen Projekte, auf die man sich im Scheidungskrieg noch einigen konnte, wird nun genau dieser Plan noch als gemeinsamer Antrag ins Parlament gebracht.

Aushebelung eines Verbots

Während sich alle an den Themen Migration, Bildung und Arbeitsplätze abarbeiten, ist das eigentliche Zukunftsthema Naturschutz konkurrenzfrei zu haben. Nicht einmal für die Grünen stellt es das Topthema dar. So wurde im Gemeinderat Neusiedl am See – mit den Stimmen der Grünen – einem Immobilieninvestor erlaubt, ein riesiges „Hotelprojekt“ am See zu realisieren. In Wahrheit wird damit das Verbot des ganzjährigen Wohnens am See ausgehebelt.

Das Projekt macht Schule, und rund um den Neusiedlersee werden plötzlich „Tourismusprojekte“ aus dem Boden gestampft, die alle interessanterweise Häuserl direkt am Wasser beinhalten und die – noch interessanter – plötzlich den Neusiedlersee für den ganzjährigen Tourismus entdecken.

Der Neusiedlersee ist ein Naturjuwel und als solches Unesco-Welterbe. Aber was bedeutet das schon gegen die Interessen von Immobilienspekulanten, die mit Millioneninvestitionen winken und damit jeden Bürgermeister schwach werden lassen? Ein Schutz davor sollte in der Verfassung verankert werden!

Arbeitswelt 4.0 erfordert ganz neue Konzepte, um sozialen Frieden und Wohlstand zu erhalten. Investitionen sind gut, aber nicht, wenn sie Natur zerstören. Wenn die neue Liste Kurz das nicht erkennt, dann schaut sie sehr schnell auch alt aus. Aber vielleicht finden ja die Grünen unter neuer Führung zu ihren Wurzeln zurück und werden wieder Teil statt Gegner von Bürgerinitiativen.

Mag. Gabriele Hecht ist Steuerberaterin
und Unternehmensberaterin in Wien.
Sie war von 1996 bis 2001 Landtagsabgeordnete und Klubvorsitzende des Liberalen Landtagsklubs in Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2017)

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