Frauen: EU forciert Anti-Gewalt-Kurs

Gewalt gegen Frauen darf in der EU nicht hingenommen werden. Die Maßnahmen müssen härter werden.

Der Europäische Rat hat vor Kurzem im Namen der EU die Unterzeichnung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt gebilligt. Dies ist mit Sicherheit ein Schritt in die richtige Richtung, wenn Europa die am weitesten verbreitete Menschenrechtsverletzung mit allen verfügbaren Mitteln bekämpfen will.

Der Beitritt zum Übereinkommen von Istanbul ist für Frauen und Mädchen von entscheidender Bedeutung und eine der obersten Prioritäten der europäischen Organe. Das Übereinkommen ist aufgrund seines ganzheitlichen Ansatzes ein Eckpfeiler im Kampf gegen geschlechtsspezifische und häusliche Gewalt. Prävention, Schutz und Strafverfolgung sowie die Umsetzung einer integrierten Politik sind die zentralen Bestandteile dieses Rechtsinstruments zur Unterstützung von Frauen, Mädchen, Frauen mit Behinderung und Frauen mit Migrationshintergrund.

Jede dritte Frau wurde in Europa im Laufe ihres Lebens bereits Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt. 75 Prozent aller berufstätigen Frauen – ob Angestellte oder Führungskraft – waren schon sexuellen Belästigungen ausgesetzt. Und jede zehnte Frau musste sich schon mit Belästigungen oder Stalking über das Internet auseinandersetzen. Gewalt gegen Frauen ist in Europa offenbar immer noch sehr verbreitet.

Weitreichender Begriff

Geschlechtsspezifische Gewalt gibt es in allen Ländern und in allen gesellschaftlichen Bereichen. Sie reicht von Gewalt in der Familie bis zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz, von Stalking bis zu Zwangsheiraten. Aufgrund von Übergriffen, Diskriminierung und Stereotypen können Frauen ihr Potenzial nicht entfalten, weder im Beruf noch in der Gesellschaft.

Und immer noch sprechen viele Frauen nicht über die Gewalt, die ihnen angetan wurde. Warum? Die öffentliche Wahrnehmung der Gewalt gegen Frauen hindert sie daran. Eine neuere Umfrage hat ergeben, dass geschlechtsspezifische Gewalt zwar für 96 Prozent der Europäerinnen und Europäer inakzeptabel ist, mehr als ein Viertel davon aber glaubt, dass eine Vergewaltigung unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein kann. Mehr als ein Fünftel ist der Auffassung, dass von Frauen erhobene Missbrauchs- oder Vergewaltigungsanschuldigungen oft erfunden oder übertrieben sind.

Nicht hinnehmbar

Das können wir nicht hinnehmen. Wenn wir nichts tun, um Gewalt gegen Frauen zu unterbinden, werden unsere Anstrengungen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Ungleichheit und Ungleichbehandlung in allen Bereichen müßig sein.

Als Union können wir über Gewalt gegen Frauen nicht mit gedämpfter Stimme sprechen. 2017 wollen wir ein Zeichen gegen alle Formen von Gewalt gegenüber Frauen setzen. Diesem Zweck dient unsere Sensibilisierungskampagne „Say no! Stop violence against women“ (Sag nein! Schluss mit der Gewalt gegen Frauen). Wir wollen die Kräfte der Mitgliedstaaten, NGOs und Fachleute (Ärzte, Polizei) bündeln, um die geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen.

Um sie zu überwinden, bedarf es gemeinsamer Anstrengungen. Unsere Gerichte, Gesetze, Gesundheitsdienste, Familien, Schulen, Medien – wir alle dürfen keinen Zweifel daran aufkommen lassen: Gewalt ist nicht hinnehmbar und wird in keinem Fall toleriert werden. Wir müssen alle Mitgliedstaaten ins Boot holen. 2017 sollte das Jahr sein, in dem die Regierungen bei der Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen einen neuen Kurs einschlagen. Wir müssen härter vorgehen.

Die Autorin ist EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucher und Gleichstellung.

Thomas Chorherrs Kolumne „Merk's Wien“ kann aus Krankheitsgründen vorübergehend nicht erscheinen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2017)

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