Gastkommentar

Viel geprüfte Türkei

Die Republik erholt sich vom Putschversuch vor einem Jahr. Die Türkei wird gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.

Vor fast genau einem Jahr, am 15. und 16. Juli, spielte sich in der Türkei der scheußlichste Putschversuch in der Geschichte einer westlichen Demokratie ab. Wer sich schon einmal mit der türkischen Zeitgeschichte beschäftigt hat, wird wissen, dass dieser barbarische Angriff auf den Volkswillen nicht der Erste seiner Art war. Jedoch war er der Erste, der in solch unvergleichliche Gräueltaten mündete.

Eine mafiaähnliche Untergrundorganisation unterwanderte jahrzehntelang sämtliche Staatsapparate und verwandelte einen friedlichen Sommerabend in ein Blutbad. Putschisten innerhalb des Militärs nahmen den Generalstabschef fest, besetzten Straßen, Brücken sowie Medienhäuser, durch die sie Zwangsdurchsagen veröffentlichen ließen. Spezialeinheiten wurden beauftragt, den Präsidenten sowie den Regierungschef zu töten.

Mitglieder der Streitkräfte, die sich gegen den Putsch stellten, wurden gefoltert. Panzer rollten gegen Zivilisten, Kampfflugzeuge donnerten über den Himmel, Frauen und Kinder wurden zu Zielscheiben. 250 mussten im Namen der Demokratie ihr Leben lassen, Tausende wurden verwundet. Das Herzstück jeder Demokratie – das Parlament – bombardiert. Dies war leider kein böser Albtraum für die Türkei und ihre Bevölkerung, sondern pure Realität.

Griff nach der ganzen Macht

Die Organisation, die hinter diesem niederträchtigen Akt steckt, heißt ,Fetullah Güllenistische Terrororganisation, kurz Fetö: Eine Organisation mit einem gefährlichen Oberhaupt, das sich selbst als „Kosmos-Imam“ beschreibt und um sich selbst herum einen perversen Personenkult betreibt.

Fetö hat es sich zum Ziel gesetzt, alle Macht im Staat an sich zu reißen. Um die demokratische Grundordnung und die Rechtsstaatlichkeit zu wahren, wurde auf Grundlage des geltenden Rechts – nationalen sowie internationalen – der Ausnahmezustand ausgerufen. Dieser Ausnahmezustand dient dem einzigen Zweck, die terroristische Organisation aus dem Staatsapparat zu entfernen und die Bürgerrechte zu wahren.

Dabei wird auf den Schutz der Rechte des Einzelnen besonders viel Wert gelegt. Der EGMR erklärte die Bildung der Untersuchungskommission für Beschwerden als effektives Rechtsmittel. In den Boulevardmedien wurde viel über Suspendierungen sowie das Verbot von Organisationen berichtet. Weniger zu lesen war hingegen darüber, dass bereits über 30.000 Beamte ihre Posten zurückbekommen haben und über 300 Organisationen wieder arbeiten dürfen. Der Rechtsweg stand von Anfang an allen Betroffenen offen.

Die gesamte Bevölkerung steht noch immer unter Schock. Aber die Republik erholt sich allmählich, die Wunden verheilen durch den vorbildlichen Zusammenhalt aller Teile der Bevölkerung. Ich bin mir sicher, dass die historisch ebenso wie Österreich viel geprüfte Türkei auch aus dieser Krise stärker denn je herausgehen wird.

Schlussendlich gedenke ich derjenigen Helden, die im Kampf für die Demokratie gefallen sind. Und ich hoffe auf die baldige Genesung aller, welche immer noch verwundet sind.

Mehmet Ferden Çarıkçı (geboren 1968 in Istanbul) ist seit Anfang Juli Botschafter der Republik Türkei in Österreich.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2017)

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