Gastkommentar

Müssen die Alten die Jungen prügeln – nur weil sie jung sind?

Warum Kommentatoren ihr Alter neben die Namenszeile setzen sollten.

Zugegeben: Julian Schmied ist noch nicht wirklich aufgefallen, weil er besondere politische Akzente gesetzt hätte. Aber ihn zum unnötigen Nobody umzustilisieren, nur weil ihn eine Mehrheit der grünen Delegierten dem Urgestein Peter Pilz vorgezogen hat, ist mehr als unfair.

Das tun die Medien, das tut Pilz selbst: 31(!) Jahre grüner Abgeordneter (war da nicht einmal ein Rotationsprinzip?!) und wegen deines jugendlichen Leichtgewichts wird er, der Unverzichtbare, aus dem Nationalrat katapultiert? Der Erbhofbauer kann nicht übergeben. Da muss eine eigene Liste her. Liste Methusalem. Programm: Die Jungen können's nicht so gut wie ich.

Noch schlimmer ergeht es Sebastian Kurz. Seit er die ÖVP-Spitze erreicht hat, kann ihn kein Kommentator ungeschoren davonkommen lassen. Es wäre aufschlussreich für jeden Zeitungsleser, müssten Kolumnisten ihr Alter neben die Namenszeile setzen. Da gibt's den 62-jährigen Herrn „win“ im „Standard“, der „Infantilismus“ und „Sebastian Kurz“ kurzschließt. Da gibt's den 72-jährigen Herrn „rau“, der ihn in Orbán-Nähe rückt, den 76-jährigen einstigen ÖVP-Journalisten Gerfried Sperl, der farbpsychologisch Kurz' neue Parteifarbe, Türkis, als typisch für den jungen Selbstdarsteller entlarvt.

Und die 73-jährige „Doyenne des Journalismus“ sprüht (wie über beinahe jeden ÖVP-Obmann) Gift und Galle auch über Kurz und widmet ihm sogar am Tag seiner Obmann-Wahl das „Drama des überschätzten Politikers“. Irgendeine giftige Spitze muss sein.

Säuerliche Altersmissgunst

Die alte Garde erträgt den Erfolg eines jungen Menschen nicht. Noch dazu eines 30-Jährigen, der bereits in zwei Regierungsämtern souverän agiert hat. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Und offensichtlich darf nicht sein, dass man selbst alt ist und ein anderer jung. Ob er's kann, wird er zeigen müssen. Wenn er's nicht kann, ist noch Zeit genug, es immer schon gewusst zu haben. Wenn er Fehler macht, kann man sich inhaltlich an ihm abarbeiten. Jetzt aber schwingt nur sehr viel säuerliche Altersmissgunst mit.

Welche Lebenserfahrung?

Dabei vergessen die großen Journalisten von heute, dass sie auch noch keine 30 waren, als sie den damals Regierenden schon erklärt haben, dass sie alles falsch machen und wie es wirklich geht.

Ingeborg Bachmanns Diktum „Jede Jugend ist die dümmste, die es je gab“ stimmt eben für alle – nur nicht für Journalisten. Dafür gibt's keine Berufsausnahme bei der Weisheit von Salvador Dalí: „Der größte Fehler, den die Jugend von heute hat, ist der, dass man nicht mehr dazugehört.“

Ihr schulden wohl auch Ex-Politiker ihre Erkenntnisse. So lässt uns der Kurzzeitkanzler Alfred Gusenbauer (57) wissen, dass es dem talentierten Mr. Kurz noch an Lebenserfahrung mangle. Hatte Gusenbauer selbst vor zehn Jahren beim Einzug ins Kanzleramt schon genug Lebenserfahrung? Oder muss man dafür erst 57 werden? Hat er seinen schon in der Sandkiste angestrebten Posten so rasch an Werner Faymann verloren, weil ihm Lebenserfahrung beim Briefeschreiben fehlte?

Wie misst man Lebenserfahrung? Welcher Art muss sie sein, um ein guter Kandidat zu sein? Wer muss sie attestieren? Nein, Jugend ist kein Fehler. Auch nicht in der Politik. Schließlich werden die jungen Politiker die Folgen ihrer Entscheidungen noch selbst ausbaden müssen. Es ist Zeit, dass auch die Alten die Jungen an ihren Leistungen messen – und ihnen nicht nur den beneidenswerten und wohl auch geneideten Mangel an Lebensjahren vorwerfen. Der wird nämlich mit jedem Tag kleiner.

Ruth Pauli – auch schon 67 – war viele Jahre innenpolitische Redakteurin u. a. bei „Presse“ und „Kurier“; lebt als freie Autorin in Wien.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2017)

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