Der radikale Islam braucht keine Moscheen

...sondern nur entmündigte Gläubige, die sich instrumentalisieren lassen.

Die Mehrheit der Schweizer sieht im Minarett nicht nur eine Bedrohung der freiheitlichen Ordnung des Landes, sondern auch ein Symbol des vermeintlich politischen Macht- und Herrschaftsanspruchs des Islam, dessen Minarett wie eine Siegessäule inmitten der europäischen Kultur bedrohlich daran erinnert. Mit dem „Ja“ zum Minarettverbot glauben die Initiatoren verhindert zu haben, dass Elemente des Scharia-Rechts in die Schweiz eingeführt werden. Darüber hinaus wurde mit dieser Botschaft der rückständigen, fundamentalistischen und mittelalterlichen Lebensweise und Kultur eine Absage erteilt. Vorausschauend kündigte der Präsident des Komitees noch weitere Initiativen gegen Zwangsehen und Ganzkörperverschleierung von Frauen an.

Diesen verzerrten Argumenten können wir entnehmen, dass es eigentlich weniger um das Minarett als sakrales Bauwerk ging, sondern um eine Abrechnung mit der muslimischen Präsenz in der Schweiz.

Europäische Rechte bejubeln den Sieg und planen weitere Fronten für ihre Kämpfe gegen die „schleichende Islamisierung Europas“. Es ist gut möglich, dass dieser Geist Ängste schürt und die Menschen gegen die Minderheiten mobilisieren kann.

UNO prüft das Verbot

Zu übersehen sind aber auch nicht jene Menschen in Europa, die diesen Sieg als Zeichen von Intoleranz und als Schlag gegen die Werte ansehen, die das Europa von heute auszeichnen. Vertreter verschiedener Religionen wie Christen und Juden solidarisieren sich mit den Muslimen und setzen sich für die Religionsfreiheit ein. Die Vereinten Nationen wollen die Rechtmäßigkeit des Verbots zum Bau neuer Minarette in der Schweiz prüfen. Experten glauben, dass das Verbot mit internationalem Recht nicht vereinbar sei.

Das Votum aus der Schweiz verhärtet die politischen Positionen: Die offiziellen islamischen Organisationen betrachten das Ergebnis als eine unglückliche Entscheidung, die dem Image der Schweiz in der islamischen Welt nicht entspreche. Die politischen Parteien und religiösen Gruppen betrachten das Votum als eine Verschwörung gegen den Islam und warnen vor den Gefahren der Verweltlichung und Globalisierung. Die radikalen Gruppen nutzen die Gunst der Stunde und intensivieren ihren Kampf gegen Dialog und Toleranz in ihren Ländern. In der radikalen Theologie des Islam werden Kunst in der Moschee und Beiwerke wie Minarette eigentlich als Verrat „Bid'a“ an der reinen prophetischen Tradition betrachtet. Deshalb werden solche nachprophetischen Traditionen verpönt.

In dieser ironischen Situation des Streites um die Minarette unterscheiden sich muslimische und westliche Radikale nicht so sehr voneinander. Nur dass die Rechten das Minarett als Symbol der Islamisierung der westlichen Welt sehen, die vermeintlichen Islamisten es als Beitrag zur Verweltlichung des Glaubens interpretieren.

Die Muslime in Europa sind von dieser Entscheidung sehr überrascht, weil sie, obwohl sich am Rand der Gesellschaft befindend, von der Selbstverständlichkeit ihrer Existenz in der Demokratie ausgingen, ohne auch nur im Geringsten daran zu denken, dass eine demokratische Gesellschaft ohne die fortdauernde Beteiligung ihrer Bürger ihre eigene Zukunft nicht sichern kann. Mit diesem Votum wurden die Muslime europaweit wachgerüttelt, und zwar dahingehend, dass die Demokratie die aktive Beteiligung ihrer Bürger braucht.

Es wäre fatal, daran zu glauben, dass die Rechten nur einen Kampf gegen den Islam führen, es ist ein Kampf gegen die Grundwerte eines sich verändernden und zusammenwachsenden Europa, gegen eine Vielfalt der Völker, die Europa kennzeichnet. Es ist an der Zeit, dass der innerislamische Diskurs sich intensiver mit den Grundwerten Europas auseinandersetzt und die Ängste der Menschen ernst nimmt und an gemeinsamen Lösungen arbeitet. Sich dieser Herausforderung zu stellen, ist ohne Alternative.

Es entsteht kein Beitrag zur Lösung vorhandener Probleme, wenn diese Debatte den Rechten und der Boulevardpresse überlassen wird. Die Debatte soll zeigen, dass Europa die Einwanderung braucht und darauf nicht verzichten kann. Keine empirische Untersuchung kann dieser Tatsache widersprechen. Dass die Muslime ein Teil unserer Gesellschaft waren und sind, ist auch eine weitere unleugbare historische Tatsache, und uns bleibt nichts anderes übrig, die Muslime in Europa zu integrieren und sie auf ihrem Weg in die Mitte der Gesellschaft zu ermutigen sowie ihre Bildungschancen zu erhöhen.

Das Minarett ist aus dieser Sicht kein Zeichen des beängstigenden Andersseins, sondern ein Zeichen einer Bereitschaft, sich in der Mitte der Gesellschaft zu zeigen. Der radikale Islam jedoch versucht mit einer Ausgrenzungstheologie diesen Weg zu erschweren, sodass die Muslime doch lieber am Rand der Gesellschaft bleiben.

Am Rande der Gesellschaft

Der radikale Islam braucht nämlich weder Moscheen noch Minarette, sondern nur entmündigte Gläubige, die sich ohne gesellschaftliche Handlungskompetenzen auf die religiösen Autoritäten verlassen und ihre Sicherheit im dogmatischen Mief unter Glaubensgenossen suchen. Damit sind Offenheit und gesunde Präsenz eine Chance für den Dialog und eine offene gesellschaftliche Begegnung. Paradoxerweise sind die radikalen Gruppen auf beiden Seiten sehr daran interessiert, die Muslime am Rand für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. In der Abgeschiedenheit einer Parallelgesellschaft kann man sich den Feind schmieden, wie man ihn braucht.

Die Muslime haben in diesem Prozess mehr denn je die herausfordernde Aufgabe, ihre Religion mit einer europäischen Prägung darzustellen, sodass der Islam nicht als fremdes und bedrohliches Phänomen wahrgenommen wird.

Univ.-Prof. Ednan Aslan lehrt islamische Religionspädagogik am Institut für Bildungswissenschaft der

Universität Wien.


meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2009)

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