Gastkommentar

Politische Bildung ist auch eine Integrationsaufgabe

Gastkommentar. Wie sieht es mit politischer Bildung bei den Asylanten und Migranten aus?

Viele Lehrkräfte vor allem der Volksschulen in den Städten klagen darüber, dass mehr als die Hälfte ihrer Schüler zu Hause nicht Deutsch sprechen. Wer in den Öffis genau hinhört, wird auch merken, dass viele Jugendliche untereinander dies nicht tun. Deutsch ist Fremdsprache. Jene von ihnen, die noch schulpflichtig sind, erhalten neben den üblichen Pflichtfächern auch Unterricht in politischer Bildung.

Sie werden in die Geschichte Österreichs und Europas eingeführt, ihnen wird erklärt, wie das Parteiensystem funktioniert, auf welchen Grundfesten und Rechten unsere Demokratie beruht. Wie aber sieht es bei deren Eltern aus, die gerade mal zugewandert sind?

Von den 8,7 Millionen Einwohnern in Österreich haben 1,8 Millionen Migrationshintergrund, und 1,3 Millionen von ihnen gehören der ersten Generation von Zuwanderern an. Innerhalb der Migrantengruppe stellen übrigens nach den Deutschen und Serben die Türken die drittgrößte Gruppe. Laut dem jüngsten Integrationsbericht resultierte 2015 mehr als die Hälfte der Neuzuwanderung aus dem Flüchtlingsstrom. Und nimmt man noch die Asylansuchenden dieses Jahres her, so kommen die meisten von ihnen aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Nigeria, Somalia, dem Irak und Iran. Alles Länder mit einer mangelnden demokratischen Tradition und Struktur.

Die Menschen, die von dorther zu uns gekommen sind, mögen Sehnsucht nach Freiheit, Selbstbestimmung, menschlicher Würde und Demokratie haben, sie leben aber noch immer und lange in einer Welt, die von ihrer Jugend und Erziehung, den Um- und Zuständen ihrer alten Heimat geprägt ist.

Sie haben zwar Asien, den Nahen Osten und Afrika hinter sich gelassen, sie haben aber ihr Informationsumfeld mitgenommen, erhalten am Smartphone alle Nachrichten vom alten Daheim. Was so in der Welt passiert, können sie via TV und das in ihrer Sprache verfolgen, sei es der arabische Sender al-Jazeera, seien es türkische (und daher mehr oder weniger staatlich zensurierte) Stationen oder Fernsehchannels, die jenseits unseres Kulturkreises ihren Sitz haben. Die Nachrichten über Europa halten sich in Grenzen, auch weil man verständlicherweise den Fokus auf einen anderen Kontinent gerichtet hat. Meldungen über Österreich kann man gleich mit der Lupe suchen. Vom Inhalt erst gar nicht zu reden.

Kein Vergleich zur Monarchie

So wichtig es ist, die Nabelschnur dorthin zu haben, wo einst die Wiege stand, integrationsfördernd ist dies nicht. Das ist unter anderem auch einer von mehreren Unterschieden zur Situation von vor mehr als einem Jahrhundert. Wer damals aus irgendeinem Eck der Monarchie etwa nach Wien kam, musste sich so rasch wie möglich in die neue Situation einleben.

Was unser Sozialsystem so alles bietet, darüber weiß man sehr schnell Bescheid. Nur wie sieht es mit dem aus, was hier in Europa und in Österreich alltäglich passiert, die Gesellschaft bewegt und die Kultur prägt? Politische Bildung wäre gerade auch für die Erwachsenen der ersten Generation aus Afghanistan über die Türkei bis nach Somalia gefragt. Und man müsste sich nur jener Technik bedienen, die auch für unsere neuen Mitbürger selbstverständlich ist: des Smartphone, des WhatsApp, des Internets. Und wenn dies auch noch nebst Deutsch in zwei, drei gängigen Fremdsprachen geschieht, hilft dies, die Sprache zu lernen und interessante Meldungen gleich nach Hause zu schicken. Damit man auch dort aus erster Hand weiß, was hier bei uns wirklich los ist.

Mag. Herbert Vytiska (geboren 1944) war 15 Jahre Sprecher des verstorbenen ÖVP-Chefs Alois Mock. Heute ist er Politikberater in Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2017)

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