Gastkommentar

Ein ORF-Gesetz für die Zukunft

Die Bestimmungen im ORF-Gesetz zu Online und neuen Medien sind von 2010 – im Zeitalter des Internets eine Ewigkeit. Ein Plädoyer für notwendige Anpassungen im Sinn der Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags.

Im Jahr 2010 wurde das ORF-Gesetz im Onlinebereich zugunsten von Verlegern und Privatfunkern im Geist einer „positiven Diskriminierung“ novelliert. Dem im Digitalbereich zu erfolgreichen ORF wurde ein einschneidendes Beschränkungskorsett geschnürt. Mit dem Ziel, den privaten Medien mehr Entfaltungsmöglichkeiten auf dem Zukunftsmarkt „Onlinebusiness“ zu eröffnen.

In der Rückschau, Stand 2017, erscheint dieser den österreichischen Markt isoliert betrachtende Regulierungsversuch blauäugig: Das österreichische Digitalbusiness dominieren heute weder der ORF noch seine privaten Mitbewerber, sondern die globalen Social Networks und Werbenetze, und das in allen relevanten Kennzahlen. Die ORF-Gesetzesnovelle 2010 hat also den österreichischen Privatunternehmen nicht genutzt, aber der Entwicklung des ORF-Onlinebereichs sehr geschadet.

Er wurde in den vergangenen sieben Jahren von wesentlichen Entwicklungen des Onlinewesens abgeschnitten, indes Google, Facebook, Amazon und andere Giganten ihre Dominanz in Österreich abgesichert haben. Die Rechte des Publikums blieben und bleiben auf der Strecke, ohne dass es anderen inländischen Playern genutzt hat.

Als Onlineverantwortlicher des ORF will ich die unmittelbar reparaturbedürftigen Punkte herausgreifen, aber mehr noch die Grundlagen einer künftigen Neufassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen herausarbeiten.

Forenverbot

Das Gesetz 2010 verbot dem ORF mit §4f (2) Z23 die Diskussionsforen im unmittelbaren Zusammenhang mit redaktionellen Beiträgen. Zugleich wurde der ORF verpflichtet, Userkommentare außerhalb des redaktionellen Zusammenhangs nur mehr von Personen zuzulassen, die mit vollen Namen und Meldeadresse registriert sind. Es verschwand damit Österreichs lebhafteste Onlinedebatte, und 90% aller User verabschiedeten sich komplett aus der ORF.at-Community. Heute haben fast alle Verlagshäuser, denen diese Maßnahme zugutekommen sollte, aus wirtschaftlichen Erwägungen ihre Onlineforen geschlossen. Die ÖsterreicherInnen debattieren seit Jahren fast ausschließlich auf Facebook.

Als Korrektiv zur undurchsichtigen, algorithmengesteuerten Filterpolitik bei Facebook sollte der ORF als ein öffentlich kontrolliertes demokratisches Gegengewicht wieder ungehindert Onlinedebatten veranstalten dürfen.

Onlinewerbung

In §18 (4) sind die Bedingungen für Onlinewerbung geregelt. Nach dem Stand des Marktes von 2010 legte der Gesetzgeber fest, dass eine Kampagneneinbuchung quasi von Hand auf Basis von Listenpreisen zu erfolgen hat. Seit damals hat sich jedoch das Umfeld, v. a. die Technologie für Onlinewerbung, fundamental geändert: Die Einbuchung der Werbemittel erfolgt mittels automatisierter Onlineauktionen in Echtzeit (Programmatic Ad-Buying), die mittlerweile 50 Prozent des gesamten Onlinewerbevolumens umfassen – mit jährlichem Zuwachs von 70 Prozent.

Von diesem stark wachsenden Teil des Werbeaufkommens profitieren vor allem Google und Facebook, während österreichische Anbieter zunehmend marginalisiert werden. Der ORF ist per Gesetz von diesem stark wachsenden Markt ausgeschlossen. Die ohnedies festgelegte Deckelung der ORF-Online-Erlöse wurde dadurch nie auch nur annähernd erreicht. Dieses Verbot verhindert die Entstehung einer gemeinsamen Onlinewerbeplattform aller heimischen Medienhäuser. Erst diese würde die notwendige kritische Masse an buchbarem Inventar erreichen, um die Einnahmen bei den Medienhäusern substanziell zu steigern.

App-Verbot

Den ORF von sich immer weiter verändernden Nutzungsanforderungen seines Publikums abzuschneiden war mit Sicherheit nicht der Geist des Gesetzes. Genau das ist aber mit der Novelle 2010 eingetreten, indem der stationäre PC als „amtliches“ Endgerät für die Nutzung von ORF-Online-Angeboten festgeschrieben wurde. Damals lag die Onlinedurchdringung bei 69Prozent der Bevölkerung. Dank der massenhaften Verbreitung von Smartphones ist im Jahr 2017 die Internetnutzung auf fast 90% gestiegen, aber die Nutzung erfolgt mittlerweile überwiegend mit diesen mobilen Endgeräten.

Das Gesetz bindet den ORF aber auf die rasant an Bedeutung verlierende PC-Plattform, indem es in §4f (2) Z28 „eigens für mobile Endgeräte gestaltete Angebote“ untersagt. Wegen des kleinen Bildschirms und der Bedienung mittels Gestensteuerung müssen Apps aber für Smartphones inhaltlich und in ihrer Benutzeroberfläche mit besonderer Sorgfalt konzipiert werden – sonst sind diese Angebote im schlechtesten Fall unbenutzbar. Die journalistische Freiheit des ORF wird darüber hinaus durch das Verbot, thematisch eigenständige Apps (etwa für Kultur oder Wissenschaft) anzubieten, gravierend eingeschränkt. Selbst das sinnvolle Zusammenführen von Inhalten, die im PC-optimierten Angebot auf unterschiedliche „Kanäle“ verteilt sind, ist uns untersagt. Damit entsteht ein immer größer werdender Konflikt mit dem Versorgungsauftrag, konkret den in §3 (5) Z2 geforderten Onlineangeboten. Das Appverbot ist aus der Zeit gefallen.

Abrufdienste

§4e (4) fordert vom ORF, Sendungen und Ausschnitte nach sieben Tagen, bei Sportbewerben gar nach 24 Stunden, von allen seinen Angeboten zu löschen. Das erregt Tag für Tag den Zorn des Publikums, ohne irgendeine positive Auswirkung auf den österreichischen Medienmarkt zu haben. Dem ORF wird es dadurch beispielsweise verboten, eigenproduzierte Miniserien als Gesamtpaket („Box-Set“) zum Abruf anzubieten. Sehr zum Ärger von Fans, die diese Serien bevorzugt im Binge-Watching-Modus, also in Form eines Serienmarathons, genießen wollen.

Besonders für die 400.000 Auslandsösterreicher, die ORF-Fernsehen fast ausschließlich über Abrufdienste konsumieren können, ist eine zeitliche Erweiterung der Angebotstiefe von essenzieller Bedeutung im Sinn des Versorgungsauftrags. In Deutschland steht eineAusweitung der „Vorhaltedauer“bei ARD/ZDF kurz bevor, Großbritannien hat vergleichbare Änderungen für die BBC bereits umgesetzt.

Zukunftssicheres Gesetz

Ganz prinzipiell muss eine künftige Neufassung des ORF-Gesetzes, will sie nicht am Tag ihrer Verabschiedung bereits überholt sein, die getrennte Betrachtung von Radio, Fernsehen und Internet hinter sich lassen. Das Internet-Protokoll (IP) hat sich als universelle Technologie weltweit durchgesetzt. Wir werden Video und Audio auf IP-basierten Geräten herstellen, IP-Broadcasting und IP-Streaming werden den DVB-Vertrieb flächendeckend ablösen. Alles, was wir herstellen, wird Online sein – und die Trennung in klassisches Fernsehen, Radio und Internet wird Geschichte sein. Nicht irgendwann, sondern in den kommenden fünf bis zehn Jahren. So wie der Konsument schon heute auf seinen mobilen Geräten keinen Unterschied zwischen Text, Video und Audio macht, muss der Gesetzgeber auch verfahren.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Thomas Prantner (geb. 1964 in Wien) ist seit 30 Jahren für den ORF tätig, seit 1999 Prokurist, 1995–2006 Kommunikations- und Marketingchef, 2007–2011 Onlinedirektor in der Geschäftsführung Wrabetz I. Seit 2012 stellvertretender Direktor für Technik, Online und neue Medien. Er gründete 2009 die ORF-TVthek und machte sie zu Österreichs größter Videoplattform.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2017)

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