Der novellierte ORF – ein Staatsfunk

Der nun in einen neuen Gesetzesvorschlag gegossene ORF gehört dem Staat, genauer: dem Bundeskanzler.

Erinnern wir uns: Im Frühjahr versuchte die Regierung handstreichartig ein neues ORF-Gesetz durchs Parlament zu bringen. Das misslang – dank eines zivilgesellschaftlichen Aufstandes, unterstützt auch von Angehörigen des Hauses. Nun wurde vor einigen Tagen ein „Begutachtungsentwurf“ bekannt, mit dem nicht nur das ORF-Gesetz, sondern zahlreiche Materien und insbesondere das KommAustria-Gesetz geändert werden. Das kritische Echo blieb bisher sehr verhalten. Lob fanden die Zusage einer Refundierung der Gebühren, die Zusagen an die Filmindustrie, der Erhalt des Radio-Symphonieorchesters (RSO) und ähnliche Details, wie sie in der öffentlichen Debatte gefordert wurden.

Scheinbar also alles in Ordnung? Die Proteste haben ihr Ziel erreicht? Wer das überprüfen will, muss sich mit zwei bürokratischen Monsterdokumenten beschäftigen: den über 150 Seiten der Gesetzesänderungen und einem 72-seitigen Schreiben der EU-Kommission zur Finanzierung des ORF. Das Ergebnis bringt eine kommunikationspolitische Katastrophe zutage, die man so bisher bestenfalls in Berlusconiland oder in einigen postkommunistischen Staaten für möglich gehalten hätte. Sollte der Nationalrat diesen Entwurf tatsächlich verabschieden, so wäre das das Ende des öffentlichen Rundfunks in Österreich, wie er sich seit den 60er-Jahren im Einklang mit den besten europäischen Traditionen Englands, Deutschlands und der Schweiz als nationale Kulturinstitution entwickelt hat. Dieser Rundfunk gehört(e) der Gesellschaft; sie hat ihn – wie immer auch durch Politik und Parteien deformiert – selbst kontrolliert, ihm seinen Programmauftrag gegeben. Der nun in Gesetz gegossene ORF gehört dem Staat, genauer: dem Bundeskanzler.

Verrat an der Unabhängigkeit des ORF

Um zu begreifen, wie ein derartiger Anschlag machtpolitisch und legistisch durchaus raffiniert eingefädelt werden kann, muss man das EU-Schreiben studieren. Dort liest man, dass die Kommission zu dem Schluss kam, dass „die derzeitigen Regeln für die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems in Österreich keine hinreichend präzise und klare Definition des öffentlich-rechtlichen Auftrags enthalten und weder eine klare Betrauung noch eine wirksame Kontrolle der Auftragserfüllung noch den Ausschluss eindeutig kommerzieller Tätigkeiten, insbesondere im Bereich der Onlinedienste, vom öffentlich-rechtlichen Auftrag gewährleisten. Es fehlen angemessene Vorkehrungen, um sicherzustellen, dass die öffentliche Finanzierung von Onlinediensten und anderen wesentlichen neuen audiovisuellen Tätigkeiten nicht zu unverhältnismäßigen Verzerrungen des Wettbewerbs und des grenzüberschreitenden Handels führt.

Es müssen wirksame Vorkehrungen getroffen werden, um sicherzustellen, dass der ORF die qualitativen Kriterien des öffentlich-rechtlichen Auftrags tatsächlich in allen Dienstleistungsbereichen, einschließlich des Fernsehprogramms, erfüllt.“

Diese klare Forderung – die Einhaltung und Kontrolle eines öffentlichen Programmauftrages – war auch der Kern unserer Debatten in den letzten Monaten. So weit, so gut; das gilt auch für die „zweckdienlichen Maßnahmen“, die das Schreiben dann unter anderem formuliert: „Ferner muss Österreich eine wirksamere Kontrolle der Auftragserfüllung einführen, durch die sichergestellt wird, dass die tatsächlichen Tätigkeiten des ORF einschließlich seines Fernseh- und Hörfunkangebots den Qualitätsstandards des öffentlich-rechtlichen Auftrags, wie sie insbesondere in §§3-5 ORF-G festgelegt sind, entsprechen. Es liegt im Ermessen Österreichs, einen Kontrollmechanismus zu wählen, der die Achtung des in Artikel10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgten Grundsatzes der redaktionellen Unabhängigkeit im Falle des ORF gewährleistet.“

Und nun kommt es: Wie wird dieses „Ermessen Österreichs“ von den heimischen Politikern genutzt? Man kann es nicht anders formulieren: Dieses voluminöse Gesetzeswerk stellt den Verrat an allem dar, was die – bei allen Beschädigungen – einzigartige europäische Tradition des öffentlichen Rundfunks ausmacht – seine Unabhängigkeit. Prägendes Element des Entwurfs ist die Einrichtung einer staatlichen Regulierung, die alle Bereiche des ORF vom Programmangebot bis zur Finanzierung umfassen wird.

Unverständlich nimmt sich angesichts dieser eingreifenden Strukturveränderungen die Tatsache aus, dass der ORF von sich aus diese Staats- und Regierungsaufsicht nicht bekämpft. Dieses untertänige Schweigen erklärt auch das neuerdings offensichtlich gute Einvernehmen zwischen Kanzler und Generaldirektor Wrabetz. Aus dem Kanzleramt erfährt man, dass Wrabetz an den entsprechenden Kapitulationsverhandlungen direkt und zustimmend beteiligt gewesen wäre. Dazu passt auch noch der Einkauf von Niederösterreichs Info-Chef Grasl. Wiewohl keinerlei Voraussetzungen für diesen Schlüsselposten mitbringend, ist er auf Wunsch von Landeshauptmann Pröll und gegen Zahlung von 160 Millionen Euro an den ORF (Gebührenrefundierung) als nächster kaufmännischer Direktor vorgesehen. Wrabetz macht bei allem mit.

Gesetzestechnisch resultiert dieser Generalangriff auf den ORF aus einer Änderung des KommAustria-Gesetzes (KOG). Die KommAustria ist derzeit eine weisungsgebundene Regulierungsbehörde in Sachen Rundfunkregulierung und – von unbedeutenden Ausnahmen abgesehen – für den ORF nur insofern zuständig, als sie die Einhaltung der Werbebestimmungen prüft und gegebenenfalls Anzeige bei der Rechtsaufsichtsbehörde Bundeskommunikationssenat (BKS) – eine unabhängige Behörde mit richterlichem Einschlag – erstattet. Die Rechtsaufsicht über den ORF liegt derzeit beim BKS, dessen faktische Unabhängigkeit bislang politisch außer Streit stand, weil drei der fünf Mitglieder Berufsrichter sind.

Nun soll die KommAustria unabhängige Behörde werden. Ihre fünf hauptberuflichen Mitglieder werden vom Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung auf sechs Jahre bestellt, Wiederbestellung ist zulässig. Mitglied kann nur werden, wer das Rechtsstudium absolviert hat und mehrjährige Berufserfahrung in Verwaltung, Rechtsprechung, Wissenschaft oder in Angelegenheiten, für die die KommAustria zuständig ist, aufweist. Vorschlag durch die Bundesregierung heißt wegen des Einstimmigkeitsprinzips, dass sich die Regierungsparteien einigen müssen. Der Bundespräsident kann den Vorschlag ablehnen, ist aber dann auf einen neuen Vorschlag angewiesen. Die Stellung der Mitglieder ist schwächer als die von Richtern, weil letztere keine Funktionsperiode und bis zur Pensionierung eine sehr sichere Stellung haben. Natürlich erklärt das Gesetz sie für unabhängig und weisungsfrei – eine Lachnummer. Im Stiftungsrat – so unvollkommen er war – konnte die Opposition zumindest mitreden und zuweilen überraschende Bündnisse schließen. Das ist mit diesem Gesetz vorbei. Die Opposition ist abgeschafft.

Juristen-, Staats- oder Regierungsfunk

Trotz Unabhängigkeit der KommAustria gibt es eine parlamentarische Auskunftspflicht. Viel wichtiger aber ist das Recht des Bundeskanzlers, sich über Gegenstände der Vollziehung der KommAustria zu informieren und alle einschlägigen Auskünfte zu verlangen. Dadurch gewinnt der Bundeskanzler Grundlagen für politisches Handeln, etwa in Bezug auf die Zusammensetzung der ORF-Gremien, den Verkehr mit der ORF-Geschäftsführung, aber auch Gesetzesänderungen.

Wohlwollenderweise könnte man zu diesen Essentials des Gesetzes sagen, es finde eine Delegation der Medienentwicklung an Verwaltungsbeamte (und Höchstgerichte) statt, also der Beginn einer Ära des Juristenrundfunks. Aber das faktische Resultat ist der Staatsrundfunk, pur und ohne Verstellung – und schlimmstenfalls ein Regierungsrundfunk, wenn die Fünf Weisen der KommAustria von der Regierung entsprechend ausgewählt werden. Berlusconi lässt grüßen. Völlig rätselhaft ist der ausbleibende Protest der Opposition. Merken sie nicht, was da auf sie zukommt?

Diese KommAustria ist nur durch Verfassungsänderung möglich. Und dazu braucht diese Regierung die Opposition. Ist das ein Trost? Ob alle drei Parteien begreifen, welche epochale kommunikationspolitische Verantwortung da auf sie wartet?

Wolfgang Langenbucher war Vorstand des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Uni Wien und ist Sprecher der Plattform „Rettet den ORF“.


meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2009)

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