Gastkommentar

Österreichs Staatsarchiv auf dem Scheideweg

Wird nach dem Bundesdenkmalamt nun auch das personell und finanziell seit Jahren ausgehungerte Staatsarchiv in eine Existenzkrise manövriert? Es wäre ein verheerender Anschlag auf das kulturelle Erbe des Landes.

Nach Pressemeldungen (siehe „Standard“ vom 4. November 2016), wonach wesentliche Teile des Österreichischen Staatsarchivs an das Heeresgeschichtliche Museum fallen sollten und der verbleibende Torso möglicherweise an die Österreichische Nationalbibliothek angegliedert werden könnte, meldete sich der zuständige Kulturminister, Thomas Drozda, persönlich in einem Leserbrief zu Wort, um die Öffentlichkeit zu beruhigen:

Das Bundeskanzleramt, dem das Staatsarchiv seit seiner – durch die Vereinigung unter einer gemeinsamen Generaldirektion erfolgten – Gründung 1945 untersteht, wisse um die Einzigartigkeit dieser Institution und denke nicht an deren „Ausgliederung und Fragmentierung“. Kaum ein Jahr später verbreitet sich in Archivars- und Historikerkreisen ein Gerücht, dessen Realitätsgehalt der Autor dieses Beitrags aber nur schwer einschätzen kann.

Schlechte Stimmung

Dem Gerücht zufolge soll das Staatsarchiv im Rahmen einer Novellierung des Bundesmuseengesetzes dem Museumsverbund [sic!] zugeschlagen, also „ausgegliedert“ werden. Bundesminister Drozda hat im „Profil“ (21. 8. 2017) einen Initiativantrag zur Novellierung des Bundesmuseengesetzes angekündigt, der womöglich im Vorwahlchaos im Nationalrat durchschlüpfen könnte.

Seit diesem Frühjahr „prüft“, wie man hört, die Firma ICG Consulting Group (Graz), die im Auftrag der Bundesregierung bereits auf eine Reihe anderer Kultureinrichtungen, darunter das Denkmalamt, „angesetzt“ worden war und auch ein „Weißbuch Bundesmuseen“ erarbeitete, die „Optimierung“ der Organisation des Staatsarchivs. Manche sehen darin eine Vorbereitung für den Anschluss des Staatsarchivs an die ebenfalls dem Museumsverbund angehörende Nationalbibliothek (samt dem dieser mittlerweile angegliederten Haus der Geschichte). Schon 2011 war von einer Fusion von Staatsarchiv und Nationalbibliothek die Rede gewesen – wird es diesmal ernst?

Von mehreren Seiten hört man, dass die Stimmung unter den Bediensteten des Staatsarchivs schlecht sei, zumal angeblich selbst der Personalvertretung der Zugang zu den vorliegenden Reformpapieren verweigert werde. Minister Drozda scheine von der Idee nicht abrücken zu wollen, beim Staatsarchiv handle es sich um einen ungehobenen musealen Schatz.

Anfang September 2017 wandte sich der Dienststellenausschuss im Österreichischen Staatsarchiv in einem Rundschreiben an die Obleute und Kultursprecher der im Nationalrat vertretenen Parteien, um auf die ungewisse Zukunft der Institution aufmerksam zu machen und die Binsenweisheit auszusprechen, dass das Staatsarchiv weder ein Museum noch eine Bibliothek, sondern eben ein Archiv sei. Nicht irgendein Archiv: Das Staatsarchiv zählt zu den bedeutendsten Archiven der Welt.

Ein sensibler Organismus

Vergleichbare Archive verfügen allerdings über deutlich mehr wissenschaftliche und nicht wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das Österreichische Staatsarchiv ist einerseits – von jährlich rund 5000 Forscherinnen und Forschern aus aller Welt „ausgebeutetes“ – Quellenlager für die historische Forschung, andererseits Behördengedächtnis und Verwaltungsinstrument; insgesamt ein überaus kostbarer, aber auch sensibler Organismus, für den man sich mehr Aufmerksamkeit wünschen würde. Und zwar positive Aufmerksamkeit.

Die Gewitterwolken, die sich schon seit Längerem über dem Staatsarchiv zusammenbrauen, haben sich heuer bereits in sehr unschöner Weise entladen. Auf der Grundlage einer ihr zugespielten anonymen Anzeige gegen den Generaldirektor des Staatsarchivs, Wolfgang Maderthaner, richtete die FPÖ mehr als ein Dutzend parlamentarische Anfragen an Bundesminister Drozda und breitete auf diese Weise die aberwitzigen Anschuldigungen genüsslich vor der interessierten (?) Öffentlichkeit aus.

Dem Staatsarchiv schadet derart massive Negativpropaganda in der gegenwärtigen Situation natürlich. Im Grunde erfüllt die Skandalisierung des Generaldirektors denselben Zweck wie die Angriffe auf das ebenfalls zum Kanzleramt ressortierende Bundesdenkmalamt, das sich mit dem Vorwurf der Ineffizienz und einer vernichtenden Kritik des Rechnungshofs konfrontiert sah.

Sturmreif kritisiert

Altehrwürdige Institutionen werden – oft unfair und mutwillig – sturmreif kritisiert, um dann ihre „Ausgliederung aus der Bundesverwaltung“ und „Privatisierung“ als naheliegende Lösung plausibel machen zu können. In Zeiten eines schrankenlosen Kapitalismus wird Kulturpolitik leicht mit Kulturmanagement verwechselt. Es überrascht zu hören, dass sowohl im Fall des Denkmalamts wie in jenem des Staatsarchivs die jeweils kurz vor der Pensionierung stehenden beamteten Führungen Ausgliederung und Teilrechtsfähigkeit, mit deren Folgen sie selbst kaum noch zu kämpfen haben werden, angeblich begrüßen. Denn beide – übrigens mit Behördenfunktion ausgestattete Einrichtungen – würden als Bau(verhinderungs)-GmbH und Papiermuseum vermutlich nicht längerfristig überleben können.

Erleichterte Gängelung

Was gern als „Stärkung der Selbstständigkeit“ einer Institution durch Entlassung in die freie Wildbahn des Neoliberalismus gelobt wird, dürfte in Wahrheit ihre Objektivität, Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit stark gefährden. Politische Gängelung wird dadurch nämlich nicht erschwert, sondern – die „richtige“ Personalpolitik vorausgesetzt – erleichtert, wenn nicht mehr (pragmatisierte) Beamte und (schwer kündbare) Vertragsbedienstete des Bundes, sondern Privatangestellte politischen Interventionen ausgesetzt sind.

Nicht umsonst versucht die Politik, in den Ministerien die hoch qualifizierte und gut eingearbeitete Beamtenschaft durch Schatten- und Parallelorganisationen – die berühmt-berüchtigten Ministerkabinette – so gut wie möglich zu steuern und gefügig zu machen.

Förderung und Wertschätzung verdienen sich nicht nur die Bundesmuseen, die Bundestheater und die Nationalbibliothek, sondern auch jene „stillen“ Kultur- und Gedächtnisinstitutionen im Land, die sich, weil sie eben nichts (durch das Anlocken Hunderttausender Besucher) zu verkaufen haben, „schlecht verkaufen“ und den mediensüchtigen Politikern keine Auftritte im Rampenlicht von Pressekonferenzen, Ausstellungseröffnungen, spektakulären Personalentscheidungen, Kammersängerernennungen und Ordensverleihungen verschaffen. Die aber dennoch für die Bewahrung unseres kulturellen Erbes absolut unverzichtbar sind. Dies gilt in ganz besonderem Maße für das Österreichische Staatsarchiv.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Der Auto

Thomas Winkelbauer (* 1957) ist seit 2007 Professor für Österreichische Geschichte an der Universität Wien und seit 2010 Direktor des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Seine Forschungs- und Publikationsschwerpunkte liegen in der Geschichte der Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit. Zuletzt erschienen: „Geschichte Österreichs“ (2015, 2. Aufl. 2016).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.