Ohne Ehrlichkeit hat die Ökumene keine Zukunft

Knackpunkt bleibt weiterhin das unterschiedliche Kirchenverständnis.

Das Reformationsjubiläum neigt sich dem Ende zu. Die evangelischen Kirchen haben in diesem Jahr ein kräftiges Lebenszeichen von sich gegeben. Höhepunkt war das große Fest vor dem Wiener Rathaus am 30. September. Alle, die dabei waren, haben das Event, das 15.000 Menschen oder mehr angelockt hat, als starke Ermutigung für den evangelischen Glauben empfunden.

Auch in ökumenischer Hinsicht gab es ermutigende Signale. Vertreter der Kirchen werden nicht müde, das Verbindende über das Trennende zu stellen.

Aber auch das ist geschehen: Nach 26 Jahren hat sich die Arbeitsgemeinschaft konfessionsverbindender Familien Österreichs aufgelöst. Sie sei, wie in der als Partezettel gestalteten Einladung stand, „aus der Zeit gefallen“. Und weiter: „Die überproportionale Bedeutung des amtskirchlichen Ordnungsdenkens, der Alterungsprozess der Proponenten und das Desinteresse der nachfolgenden Generationen haben ihr Schritt für Schritt die Lebensgrundlage entzogen.“ Deshalb hat man die Arbeitsgemeinschaft feierlich zu Grabe getragen.

Viele Menschen haben im Reformationsjahr ein deutlicheres Zeichen für ökumenische Fortschritte erwartet als symbolische Aktionen oder irgendwelche Versöhnungsgottesdienste. Zumindest in der Frage der konfessionsverbindenden Paare hatten viele gehofft, dass sich etwas bewegen werde.

Wasser im ökumenischen Wein

Doch von der gemeinsamen Teilnahme an der katholischen Messe ist man immer noch weit entfernt. Die vom 2. Vatikanischen Konzil geprägte und begeisterte Generation ist in die Jahre gekommen oder schon verstorben. Und von Kirchenfunktionären und Berufsökumenikern abgesehen interessiert sich eigentlich noch kaum jemand für ökumenische Fragen.

Zuletzt hat der Kölner Erzbischof Kardinal Woelki reichlich Wasser in den ökumenischen Wein gegossen. Zu einer ehrlichen Bilanz der gegenwärtigen ökumenischen Beziehungen gehöre das Eingeständnis, dass in moral- und sozialethischen Fragen zwischen den Kirchen ein zunehmender Dissens bestehe.

Vorwurf Etikettenschwindel

Dem Einheitsmodell der versöhnten Verschiedenheit macht Woelki den Vorwurf des Etikettenschwindels, und in evangelischen Kirchen beobachte er streckenweise eine tief unordentliche Praxis, von den Differenzen in der Ämterlehre ganz zu schweigen.

Ähnlich, wenngleich etwas diplomatischer, äußert sich auch Kurienkardinal Koch, der im Vatikan für die Ökumene zuständig ist. Nach wie vor gebe es keine gemeinsame Vorstellung vom Ziel der Ökumene. Die Formel von der Einheit in versöhnter Verschiedenheit sei aus katholischer Sicht keine Zustandsbeschreibung, wie prominente Vertreter der evangelischen Kirchen meinen, sondern lediglich eine Zielbestimmung.

Der eigentliche Knackpunkt ist das unterschiedliche Kirchenverständnis. Kardinal Woelki spricht mit wünschenswerter Klarheit aus, dass Martin Luther und mit ihm die Reformation das Verhältnis von Christus und der Kirche grundlegend anders bestimmt haben als es die katholische Kirche und die orthodoxen Kirchen bis heute tun. Nach Luther habe ich ein Verhältnis zur Kirche, weil und insofern ich ein Verhältnis zu Christus habe. Katholisch ist es genau umgekehrt. Solange das so bleibt, kann es nach Woelkis Ansicht kein gemeinsames Abendmahl geben.

Als evangelischer Christ bin ich Woelki und Koch dankbar, weil sie klarer sehen also so mancher evangelische Kirchenvertreter. Ohne solche Ehrlichkeit hat die Ökumene keine Zukunft.

Ulrich H.J. Körtner (geboren 1957 in Hameln) ist Ordinariusfür Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2017)

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