Gastkommentar

Protest gegen Lauf der Dinge in der EU

Die jüngsten Parlamentswahlen in Tschechien und ihre fehlerhaften Interpretationen im benachbarten Ausland.

Die Ergebnisse der tschechischen Wahlen vom vom 20./21. Oktober sind kompliziert, und es ist nicht einfach, sie zu interpretieren. Mit Sicherheit aber stimmen die Schlagzeilen deutscher Medien nicht, die behaupten, dass ein „tschechischer Trump“ und Euroskeptiker gewonnen habe.

Andrej Babiš ist kein Trump und seine Kritik an manchen Maßnahmen der EU – die gemeinsame Währung, unverantwortliche Einladung von Hunderttausenden oder Millionen Migranten und obligatorische Migrantenquoten – sind kein Euroskeptizismus als politisches Programm. Babiš bietet keine grundlegende Kritik des Konzepts der europäischen Integration und Unifikation. Sein Charisma ist nicht das von Trump.

Sein Sieg war in Tschechien erwartet worden und ist ein Ausdruck der tschechischen politischen Situation. Er ist die Folge des vollkommenen Versagens traditioneller politischer Parteien, besonders der Sozialdemokraten.

Die Sozialdemokraten haben zwei Drittel ihrer Wähler im Vergleich zu den letzten Wahlen verloren. Das ist ein Absturz ohne Präzedenz in der jüngsten politischen Geschichte des Landes, noch dazu ohne einen konkreten Grund (oder Skandal).

Die Wahlen brachten eine Erschütterung der politischen Szene, obwohl sie in einer Zeit der außerordentlichen Wirtschaftsprosperität und unserer niedrigsten Arbeitslosigkeit in Europa stattgefunden haben.

Votum für eine andere Politik

Sie sind kein Ausdruck des Protests der tschechischen Bevölkerung gegen die soziale und wirtschaftliche Lage im Land. Die Wähler haben deutlich gezeigt, dass sie von den Politikern eine ganz andere Politik erwarten. Sie wollen Schutz unseres Landes und unserer nationalen Interessen. Sie verlangen selbstbewusste Politik eines selbstbewussten Landes. Sie wollen nicht alles stillschweigend übernehmen, was von außen, das heißt von der EU, kommt. Es wurde eindeutige Unzufriedenheit artikuliert, wohin unser Land und die EU sich bewegen. Parteien, die total „pro Brüssel“ sind, den Euro einführen und sich dem harten Kern der EU anschließen wollten, haben nicht genügend Stimmen erhalten.

Babiš zum Märtyrer erhoben

Gute Ergebnisse haben dagegen Parteien bekommen, die keine Angst haben, tschechische Interessen zu verteidigen und solche, die die progressive linksorientierte Politik, die uns vom Westen aufgezwungen wird, ablehnen.

Großer Sieger ist die Bewegung ANO („Ja“) von Andrej Babiš, die die Wähler der traditionellen Linken und der Mitte angesprochen hat. Babiš wird als tschechischer Berlusconi bezeichnet – ein Milliardär, Geschäftsmann mit einem Firmenimperium in diversen Branchen, Medienmagnat; ein Mensch mit ungeklärten Anschuldigungen seitens der Justiz (bisher besitzt er noch keinen Fußballklub, und auch Affären werden ihm bisher keine nachgesagt).

Andrej Babiš hat zum Sieg verholfen, dass fast alle Parteien und Medien versucht haben, ihn mittels Kriminalisierung seiner Businessaktivitäten aus der Politik herauszuhalten. Das war ein fataler Fehler – Babiš wurde zum Märtyrer erhoben.

Die Wahlen in Tschechien haben kein Ende der Demokratie herbeigeführt. Die Ergebnisse sind für viele – auch für mich – kein Sieg und keine Freude. Aber sie haben deutlich gezeigt, dass die Menschen mit den heutigen Zuständen nicht zufrieden sind. Aber ihr Protest richtete sich vor allem gegen die Entwicklung in der EU und die mit Brüssel verbundenen Zukunftsängste und waren weniger eine Kritik an der Situation im eigenen Land.

Václav Klaus (* 1941 in Prag) war von 1992 bis 1998 Ministerpräsident und von 2003 bis 2013 Staatspräsident der Tschechischen Republik.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2017)

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