Opposition als Chance für eine Erneuerung der SPÖ

Der Abschied von der Macht ermöglicht den Sozialdemokraten inhaltliche, organisatorische und personelle Neuaufstellung.

Die Nationalratswahl ist geschlagen, die Weichen sind in Richtung einer türkis-blauen Koalition gestellt. Läuft alles nach dem Plan von Sebastian Kurz und Heinz Christian Strache, wird diese Koalition vielleicht schon vor Jahreswechsel stehen. Die SPÖ, die seit 1945 zumeist – mit kurzen Unterbrechungen während der ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus und der schwarz-blauen Koalition unter Wolfgang Schüssel – in der Regierung vertreten war, wird nun die parlamentarische Opposition anführen.

Kurz, das politische Talent mit Killerinstinkt, muss nun nach Beseitigung des ÖVP-Obmanns Reinhold Mitterlehner und Sprengung der Koalition mit den Sozialdemokraten unter Christian Kern beweisen, dass er geeignet fürs Kanzleramt und auch abseits des Migrationsthemas firm ist. In einer Partnerschaft mit Straches Freiheitlichen, die kaum dem Populismus abschwören werden, kein leichtes Unterfangen. Viel Glück! Wer das Agieren der Rechtsaußen-Fraktion im Europaparlament, der die Freiheitlichen angehören, gegen die EU verfolgt hat, wird gespannt darauf sein, wie sich die einstige Europapartei ÖVP als umgetaufte „Liste Sebastian Kurz“ mit den neuen politischen Freunden arrangiert. Europa wird im zweiten Halbjahr 2018 auf Österreich schauen, das dann den EU-Vorsitz innehat.

Regierungswechsel sind normal

Nun ist ein Regierungswechsel in einer Demokratie etwas völlig Normales. Dass er hierzulande nur mit Hilfe der von deutschnationalen Burschenschaftern durchsetzten FPÖ zustande kommen kann, stößt freilich nicht wenigen wachsamen Bürgern sauer auf.

Für die Sozialdemokratie bietet die neue Situation aber mittel- und langfristig die Chance für eine grundlegende inhaltliche, organisatorische und personelle Erneuerung. So etwas schafft man nur in der Opposition – ganz abgesehen davon, dass die SPÖ als Juniorpartner in einer Koalition mit der Kurz-Volkspartei ebenso wie als Seniorpartner in einem Bündnis mit der Strache-FPÖ keine Profilierungschance gehabt hätte.

Opposition ist also nicht „mies“, wie sozialdemokratische Politiker im In- und Ausland zuletzt meinten. Die Opposition hat vielmehr in der parlamentarischen Demokratie eine wichtige staatspolitische Funktion. Sie kontrolliert die Regierung und entwickelt politische Alternativen. Das ist spannend und belebt den Diskurs.

Die Chance der Erneuerung ist also da. Sie muss aber genützt werden. Zwar reibt sich jede Regierung früher oder später auf, aber allein darauf zu setzen wäre für die SPÖ zu wenig. Wen man den letzten Wahlkampf analysiert, kommt man zum Ergebnis, dass es Kurz gelungen ist, das in weiten Kreisen der Bevölkerung vorhandene Unbehagen mit der gegenseitigen Blockade in der rot-schwarzen Koalition – wiewohl die Volkspartei den Sozialdemokraten beim Blockieren um nichts nachstand – in einer erfolgreichen Kampagne, die Veränderung verhieß, zu kanalisieren. Und Kern stand nach Aufkündigung der Koalition durch Kurz plötzlich als Bewahrer des alten Systems da, obwohl er doch bei seinem Amtsantritt mit seinem „Plan A“ Veränderung versprochen hatte.

Wie auch immer: Die SPÖ hatte jetzt das Image einer strukturkonservativen Partei, während die „neue Volkspartei“ mit einem Reformkurs assoziiert wurde, wobei Kurz in seinen Ankündigungen sehr vage blieb. Hier muss die Erneuerung der Sozialdemokratie ansetzen. Die Sozialdemokratie ist ja ihrem Wesen nach eine Reformbewegung.

Immer internationalistisch

Ich weiß schon, Ralf Dahrendorf hat das 20. Jahrhundert als „sozialdemokratisches Jahrhundert“ bezeichnet, das aber nun vorbei sei. Dem muss entgegengehalten werden, dass Entwicklungen wie die Globalisierung, die Digitalisierung, das Auseinanderdriften von Arm und Reich, die zunehmende Ungleichheit in den Industriegesellschaften sowie zwischen Nord und Süd große Herausforderungen für eine Reformbewegung wie die Sozialdemokratie darstellen.

Lösungen für viele der Probleme können nur auf internationaler Ebene erreicht werden. Die Sozialdemokratie war seit ihrer Gründung eine internationalistische Bewegung. Folglich sollte sie auf europäischer Ebene Initiativen zur Stärkung der EU vorantreiben, z. B. gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Nicht in einem neuen Nationalismus, der Reduzierung der EU auf eine Wirtschaftsgemeinschaft oder einer Anbindung Österreichs an die Visegrád-Staaten, wie von den Freiheitlichen propagiert, liegt unsere Zukunft. Auch müssen neue Formen der weltweiten Vernetzung und der Kooperation zwischen progressiven Parteien vorangetrieben werden. In den 1970er- und 1980er-Jahren gab es dazu Aktivitäten der Sozialistischen Internationale, ehe diese Institution in einen Dornröschenschlaf versank.

Keine Arbeiterpartei mehr

Die Probleme von heute können nicht mit den Rezepten von gestern gelöst werden. Die SPÖ muss sich öffnen zur Wissenschaft, zu den Intellektuellen, um neue Impulse für ihre politische Arbeit zu bekommen und die Jugend anzusprechen. Die Zahl der klassischen Industriearbeiter geht konstant zurück, und von denen wählen immer weniger die SPÖ.

Die Sozialdemokratie ist keine Arbeiterpartei mehr und muss den gesellschaftlichen Veränderungen auf allen Ebenen Rechnung tragen: in der Programmatik, in der Auswahl ihres Personals, in der Organisation und nicht zuletzt in der Kommunikation. Die SPÖ muss also das nachholen, was Sebastian Kurz auf konservativer Seite mit seinem Wendekurs, von dem man noch nicht weiß, wohin er führen soll, gerade versucht.

Die Sozialdemokratie darf sich Veränderungen nicht verschließen, sondern muss sich zum Vorreiter derselben machen. Sie muss aber klar darstellen, worin sich eine sozialdemokratische Reformpolitik vom Wendekurs einer konservativ-rechtspopulistischen Regierung unterscheidet. Es ist eine große intellektuelle Aufgabe, die Stammwähler zu halten und liberale Bürgerliche sowie die Jugend zu gewinnen.

„Ein Stück des Weges . . .“

Auch SPÖ-Übervater Bruno Kreisky hat 1970 die konservative ÖVP-Regierung Klaus mit einer umfassenden Reformagenda („Wir bauen das moderne Österreich“) abgelöst. Vorangegangen waren seinem Wahlsieg eine Öffnung der Partei und die Erarbeitung von Sachprogrammen in vielen Bereichen.Da Kreisky wusste, dass Österreich ein konservatives Land ist, formulierte er ein linksliberales Programm, das bürgerliche Wähler dazu animierte, „ein Stück des Weges“ mit der Sozialdemokratie zu gehen.

Gelingt die heute anstehende Erneuerung der Partei, wird die Sozialdemokratie, die eine große Vergangenheit hat, aber derzeit europaweit in einer Krise steckt, auch im 21. Jahrhundert Zukunft haben. Wenn man nach einer gerechteren Gesellschaft strebt, wird man auf eine Sozialdemokratie, die auf der Höhe der Zeit ist, nicht verzichten können.

DER AUTOR

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Johannes Kunz
(* 1947 in Wien) arbeitete beim Hörfunk, ehe er von 1973 bis 1980 als Pressesprecher von Bruno Kreisky ins Bundeskanzleramt wechselte. 1982 Rückkehr in den ORF, wo er von 1986 bis 1994 Informationsintendant war. Autor mehrerer Bücher, zuletzt: „100 Jahre Österreich. Die Politik 1918−2018 im Spiegel des Humors“ (Amalthea). [ Fabry ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2017)

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