Gastkommentar

Es geht um die Augenhöhe

Österreich ist nicht trotz, sondern wegen der Sozialpartnerschaft in vielen Bereichen führend.

Derzeit überschlagen sich politische Kräfte und Kommentatoren darin, die österreichische Sozialpartnerschaft für tot zu erklären, zuletzt Gerhard Hofer in dieser Zeitung am 2. November, der die Sozialpartnerschaft gar als Relikt eines veralteten „Arbeiter- und Bauernstaates“ sieht.

Sehen wir uns einmal die nüchternen Fakten an: Europa hat die negativen Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise des Jahres 2008 noch immer nicht verdaut. Allseits wird jedoch anerkannt, dass speziell Österreich die Krise um einiges besser bewältigt hat als vergleichbare europäische Länder. Etwa durch das Modell der Kurzarbeit oder auch durch eine sehr flexible Lohn- und Gehaltspolitik, die von der Krise gebeutelte Betriebe berücksichtigt hat.

Bewährtes System

Schon erstaunlich, dass ein ach so „anachronistisches“ System sich derartig bewährt hat. Die Erzählung, Österreich wäre in den letzten Jahren zurückgefallen, hält einer empirischen Untersuchung nicht stand. Welche Nachbarländer, denen es „viel besser geht“ als uns, meint Herr Hofer? Ungarn, Slowenien, Italien?

Bei wesentlichen wirtschaftlichen Eckdaten liegt Österreich besser als der europäische Schnitt und befindet sich aktuell auf der Überholspur. Womit wir bei den aktuellen Lohn- und Gehaltsverhandlungen sind. Ist es „anachronistisch oder weltfremd“ oder wirtschaftlich unvernünftig, gerade jetzt etwas einzufordern, was aktuell etwa auch die Europäische Zentralbank und namhafte Wirtschaftsforscher tun, nämlich die Nachfrage der unselbstständig Beschäftigten zu stärken, weil das für die Nachhaltigkeit des Aufschwungs essenziell ist.

Ja, es geht in der Sozialpartnerschaft um Macht und Einfluss, darin ist Herrn Hofer recht zu geben. Offenbar verspüren aktuell jene Exponenten in der Industrie Oberwasser, die an einer nachhaltigen Schwächung der Interessenvertretungen der Arbeitnehmer interessiert sind. Ein System des Interessenausgleichs funktioniert aber nur dann, wenn es auf Augenhöhe basiert.

Eine Art „Diktatsstruktur“

Diese Bereitschaft zur Augenhöhe lassen etwa die Chefverhandler der Arbeitgeber in der Metallindustrie sträflich vermissen. Sie wollen offenbar die Sozialpartnerschaft in eine Art „Diktatsstruktur“ umwandeln, in der eine Seite die Spielregeln diktiert und die andere Seite dankbar sein soll, wenn auch für sie etwas abfällt. In einer solchen Konstellation sind wir gezwungen, uns die fehlende Augenhöhe wieder zurückzuerkämpfen.

Österreich ist ein moderner Industriestaat mit einer sehr hohen Lebensqualität. Der soziale Frieden ist dabei zweifellos ein nicht zu unterschätzender Standortfaktor. Diese Qualität liegt auch in einem System begründet, in dem praktisch alle Bevölkerungsgruppen durch gesetzlich vorgesehene Strukturen, die von den Mitgliedern demokratisch gewählt sind, vertreten werden.

Ich bin der tiefen Überzeugung, dass Österreich nicht trotz, sondern wegen dieser Struktur des Interessenausgleichs in so vielen Bereichen an der Spitze liegt. All jene, die aus welchen Gründen auch immer dieses System sprengen wollen oder einseitig zulasten der bei Weitem größten Bevölkerungsgruppe, jener der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, verändern wollen, müssen sich bewusst sein, dass damit die Konflikte und die damit verbundenen Kosten steigen werden. Einseitige Veränderung des Interessenausgleichs werden wir sicher nicht einfach zur Kenntnis nehmen.

Wolfgang Katzian ist seit 2006 Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp). 2009 wurde er zudem zum Vorsitzenden der FSG (Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen) gewählt.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2017)

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