Gastkommentar

Achillesferse der EU-Bildung

Die Bildungssituation ist europaweit zwar positiv, bei grundlegenden Kompetenzen gibt es aber noch große Schwächen.

Wie EU-Präsident Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Union verkündete, hat Europa „wieder Wind in den Segeln“. Tatsächlich ist das Wirtschaftswachstum in allen Mitgliedstaaten zu spüren. Mehr Menschen als je zuvor haben einen Arbeitsplatz und, was noch wichtiger ist, es herrschen wieder Optimismus und Zuversicht.

Die aktuelle Ausgabe des Monitors für die allgemeine und berufliche Bildung der Kommission, der einen jährlichen Überblick über die Bildungssituation in den EU-Mitgliedstaaten bietet, stellt ebenfalls einige positive Ergebnisse heraus. Der Anteil der frühen Schulabgänger nähert sich immer weiter dem EU-weiten Ziel von zehn Prozent an. Die EU-Mitgliedstaaten verzeichnen darüber hinaus große Fortschritte in anderen Schlüsselbereichen wie frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung und beim Anteil der Hochschulabsolventen.

Die Beschäftigungsfähigkeit dieser jungen Akademiker verbessert sich stetig, und die Investitionen in die Bildung nehmen nach jahrelangen Haushaltskürzungen wieder zu.

Im Gegensatz zu unserer Wirtschaft bedeutet dies allerdings nicht, dass unsere Bildungssysteme wieder auf Kurs sind. Stattdessen rückt für die Mitgliedstaaten ein entscheidendes Ziel in immer weitere Ferne, nämlich die Reduzierung des Anteils von Schülerinnen und Schülern mit schwachen Leistungen in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften.

Ergebnisse verschlechtert

Im Hinblick auf die EU-Benchmark von weniger als 15 Prozent leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern zeigen die Ergebnisse der PISA-Studie von 2015, dass die EU als Ganzes in allen drei Bereichen deutlich hinterherhinkt. Noch schwerer wiegt der Umstand, dass sich die Ergebnisse seit der letzten Erhebung im Jahr 2012 sogar noch verschlechtert haben.

Dies bedeutet, dass etwa ein Fünftel der 15-jährigen Europäerinnen und Europäer das grundlegende Kompetenzniveau in einem dieser drei entscheidenden Bereiche nicht erreicht. Zudem bestätigt der Monitor für die allgemeine und berufliche Bildung die besorgniserregende Tendenz, dass junge Menschen aus einem weniger privilegierten sozialen Umfeld mit höherer Wahrscheinlichkeit nicht über diese Grundfertigkeiten verfügen.

Unsere Bildungssysteme scheitern somit an der Vermittlung der wichtigsten Grundlagen. Dies ist eine große Gefahr für unsere Wettbewerbsfähigkeit und unseren Wohlstand. Vor allem aber bedeutet dies eine ernste Bedrohung für den sozialen Zusammenhalt in Europa. Wie sollen wir digitale Kompetenzen an Schulen vermitteln und sicherstellen, dass unsere Hochschulen weltweit Spitzenplätze im Bereich der Innovation einnehmen, wenn ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler nur schlecht lesen und schreiben kann?

Hochwertige Bildung für alle ist die Grundlage eines Europas der Zukunft, das gerechter, inklusiver, widerstandsfähiger und innovativer als bisher ist. Das niedrige Niveau bei den grundlegenden Kompetenzen ist die Achillesferse Europas im Bereich Bildung und sollte daher die oberste Priorität der Mitgliedstaaten darstellen.

Ich ermutige diese deshalb, ihre Bildungssysteme weiter zu reformieren, in sie zu investieren und sie wirksamer zu gestalten.

Der Autor ist EU-Bildungskommissar.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2017)

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