Gastkommentar

Fall Pilz und die Folgen: Wer ist der Nächste?

Zwei Erkenntnisse aus dem jüngsten innenpolitischen Geschehen: Die Medien wollen immer weniger berichten und Fakten checken, sondern selbst Politik machen. Und der Stil in der Politik wird immer erbarmungsloser.

Beim Studium der Printmedien in den vergangenen Tagen sind mir zwei Dinge aufgefallen: etwas, was schon lang meinen Argwohn schürt, ein Umstand, dem ich sehr kritisch gegenüberstehe, und eine neue Entwicklung, welche geradezu abscheulich ist.

• 1. Medien geben die Politik vor. Medien sind dazu übergegangen, statt Fakten nach penibler Recherche zu präsentieren, die Politik in diesem Lande steuern zu wollen. Es wird nicht berichtet, was berichtet werden sollte, sondern geschrieben und transportiert wird, was sich Redakteure wünschen, was sie mutmaßen, was sie glauben. Nicht Fakten, sondern Meinungen dominieren. Diese Kritik ist nicht neu, aber sie ist aktuell vehement anzubringen.

Übertrumpfen mit Gerüchten

Allein das Beispiel der Personalfragen in den Parteien zeigt, dass die Entscheidungen nicht von den Verantwortlichen vorgegeben werden. Es wird nicht gestattet, Überlegungen zu treffen, zu Entscheidungen zu finden und diese auch nach innen zu kommunizieren – nein, schon wieder werden Vermutungen zu Wahrheiten erhoben. Konflikte werden herbeigeschrieben, Unruhe diagnostiziert. Leider sind auch Journalisten gediegener Medien wieder einmal „federführend“.

Redakteure berufen sich auf Insiderbemerkungen, auf aufgeschnappte Statements. Diese müssen weder belegt noch nachgewiesen werden. Den Lesern wird der Eindruck vermittelt, negativen Entwicklungen auf der Spur zu sein, etwa dem Verlust des innerparteilichen Zusammenhalts oder unüberbrückbaren Konflikten bei Sachthemen.

Bei aller Vorsicht gegenüber Medienvertretern sollte man gegen diese Fehlentwicklungen doch rigoroser vorgehen. Der Konkurrenzdruck darf nicht dazu führen, dass sich einzelne Medienvertreter geradezu vorsätzlich mit Gerüchten und daraus abgeleiteten Diagnosen übertrumpfen.

Ich habe mittlerweile das Gefühl, dass Politiker und Parteien von den Medien vor sich hergetrieben werden. Nicht die Medien reagieren auf Entwicklungen und Entscheidungen – nein, die Politiker sind gezwungen, sich mit immer neuen Interpretationen und herbeigeschriebenen Vorgaben auseinanderzusetzen. Solche Gegebenheiten sind generell kritisch zu hinterfragen, speziell allerdings in Zeiten einer Nachwahlperiode und der konsekutiv folgenden Versuche, eine neue Regierung zu bilden.

Koalitionsgespräche sind eine emotionale Angelegenheiten. Konstruktive Bemühungen in dieser Hinsicht sollten nicht von außen unter Themen- und Zeitdruck gesetzt werden, Inhalt und Ablauf solcher Verhandlungen müssen fairerweise unbeeinflusst von Medien und Öffentlichkeit bleiben.


2. Fragwürdiger politischer Stil. Unglaublich finde ich den Umstand, dass nach einem Wahlkampf mit persönlichen Diffamierungen und fraglos zu verachtenden Mitteln dieser Stil nun fortgesetzt werden kann. Dazu ist nach wie vor jedes Mittel recht. Ich habe kein Mitleid mit Personen wie etwa Peter Pilz, so er – berechtigt – herausgeschossen worden ist. Aber das Wie, das stört mich ebenso wie die Vorwürfe, die dazu gedient haben.

Haben heute schon zu viele politische Strategen Akten, Dossiers und Aufzeichnungen über Negatives bei der politischen Konkurrenz in der Lade, die zum günstigsten Zeitpunkt herausgeholt und verwendet werden können? Wie widerlich ist es, von Negativem zu wissen, von Verfehlungen unterrichtet zu sein, diese dann zunächst bedeckt zu halten, um sie ins Spiel zu bringen, wenn es darum geht, Macht zu erhalten, Pfründe zu retten, Konkurrenz aus dem Rennen zu schießen?

Grüne nicht im Alleingang

Ich frage mich auch: Wie kann es sein, dass Stillhalteabkommen, der Wunsch, ein Verfahren zu umgehen, privat Einigung zu finden, zunächst ausreichend sind, um Wissen und Fakten nicht zu veröffentlichen. Dann aber, wenn es gilt, Erfolge zu torpedieren, negative Fakten leger an Medien gespielt werden – um dann ohne wirklich erhobene Nachweise und Belege publiziert zu werden. Ist eine rechtsgestützte Einigung mit einer Vereinbarung zur Beilegung eines Konflikts und fixierte Diskretion nur eine Zeit lang gültig?

Was sich bei den Grünen seit Jahren abgespielt hat, ist jetzt leider deutlich geworden. Zu undeutlich sind für mich allerdings nach wie vor die Machenschaften der Vizebürgermeisterin der Stadt Wien, die zu einem basisdemokratischen Desaster geführt haben. Dass man überdies in dieser bisher frauendominierten Partei zur Last gelegte sexuelle Verfehlungen politisch-taktisch bedeckt gehalten hat und sie zur Entmachtung eines politischen Repräsentanten nun doch verwendet, erzeugt Übelkeit.

Doch die Grünen sind auf diesem Gebiet nicht im Alleingang tätig, das steht zu befürchten. Klasse, politisches Know-how, Erfahrung, Stil und Talent sind anscheinend völlig uninteressant geworden. Persönliche Verfehlungen, vom Strafzettel bis hin zu fehlendem Benehmen, in sexueller Abartigkeit endend, sind federführend in der Beurteilung politisch aktiv handelnder Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit.

Und da wird, das befürchte ich, noch weiter jede Grenze überschritten werden. Ein offenes Auftreten gegen diese Entwicklungen ist diffizil. Denn wer Kritik/Anschuldigung/Denunzierung oder gar politisch motivierte Veröffentlichung von vergangenem Geschehen entgegen früher getroffenen Vereinbarungen anprangert, ist in der Sekunde selbst im Visier der Denunzianten.

Es reicht die Anschuldigung

Dem Thema „Sexuelle Belästigungen“ ist generell sehr umsichtig zu begegnen. Zum Glück gibt es auch neutrale Kommentare, nicht überraschenderweise formuliert von sehr klugen Frauen, die erstens mit der Individualität der Problematik argumentieren und zweitens konsequent bei der Unschuldsvermutung bleiben. Gerade auf diesem Gebiet sind vermeintliche Täter wenig geschützt.

Denn so schief die Optik im Fall Peter Pilz auch ist, ein Nachweis seiner Verfehlungen liegt bisher nicht vor – muss auch nicht vorgelegt werden, es reicht die Anschuldigung.

Der Rücktritt aufgrund von Anschuldigungen ist nunmehr Faktum. Ich bin gespannt, ob dieser erzwungenen politischen Entscheidung auch die Tatsachen und Beweise noch folgen werden. Oder, was geschieht, sollten die Vorwürfe nicht der Wahrheit entsprechen? Wird es Usus werden, unbequeme Konkurrenz zunehmend mit solchen Strategien aus der Arena der politischen Auseinandersetzung zu schießen? Wer ist der Nächste? Und wann?

Bei der jetzt noch immer beziehungsweise schon wieder demonstrierten Aggressivität der politischen Konkurrenten (ich beziehe mich da auf die Sitzung des Nationalrats vom 9. 11.) sind fortgesetzte, negative Strategien dieser Form nahezu zu erwarten. Wird also Opposition zur Denunziation?

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR



Dr. Thomas Heinz

studierte Medizin, machte danach eine Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin und eine Ausbildung zum Facharzt für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie. Nach der Beschäftigung im Wilhelminenspital der Stadt Wien wechselte er an die Medizinische Universität, seither ist er Mitglied der Uni-Klinik für Unfallchirurgie. Habilitation 1996, Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und Kommentare zur Gesellschaftspolitik. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2017)

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