Gastkommentar

Es geht um die Inhalte, nicht um geografische Nähe

Replik. Österreich verbindet mit den vier Visegrád-Staaten aktuell EU-politisch gar nichts.

Dem Befund von Paul Luif, wonach es Österreich nicht schafft, stabile Kooperationen mit anderen EU-Staaten bei wichtigen Brüsseler Entscheidungen zu schaffen, ist beizupflichten. Daraus jedoch abzuleiten, wie er das in seinem Gastkommentar in der „Presse“ getan hat (7.11.), der naturgegebene Verbündete läge in Form der vier Visegrád-Staaten Tschechien, Slowakei, Ungarn und Polen quasi direkt vor unserer Haustür, ist falsch.

Österreich verbindet mit diesen vier Staaten aktuell EU-politisch aber schon gar nichts. Es gibt keine gemeinsame Interessenlage zwischen dem Dauernettozahler Österreich und den notorisch am EU-Tropf hängenden Staaten Ostmitteleuropas. Allein die Diskussion über die Neugestaltung der EU-Struktur- und Regionalförderung zeigt, dass man da auf keinen gemeinsamen Nenner kommen wird. Wer jährlich drei bis fünf Prozent seines BIPs in Form von Transferzahlungen aus Brüssel erhält und das auch für die Zeit nach 2020 dauerhaft einfordert, kann nicht mit Österreich harmonieren.

Die Visegrád-Gruppe ist darüber hinaus integraler Bestandteil der Nato, somit bleibt die militärische und sicherheitspolitische Interessenlage eine andere. Wer aktuell glaubt, dass das singuläre Problem der „Migrationsabwehr“ diese Bedenken dauerhaft überlagert, der irrt. Die historischen Befindlichkeiten von Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Polen gegenüber Russland allein sind da schon intern ein „deal-breaker“.

Kein Platz für Österreich

Auch bei der anstehenden Entscheidung, bei der die beiden heiß begehrten EU-Agenturen infolge des Brexit aus London abgesiedelt werden sollen, zeigt sich ganz aktuell, dass die Visegrád-Gruppe andere, mit Österreich inkompatible Interessen verfolgt. Die Staaten des früheren „Ostblocks“ versuchen, dabei etwas „für sich“ herauszuholen. Österreich hat in dieser Denkweise keinen Platz. Österreich sollte stattdessen seine Kooperationspartner für Brüssel dort suchen, wo es gemeinsame Interessen und Werte gibt. Geografische Nähe allein reicht jedenfalls nicht aus.

Die „natürlichen Partner“

Den Erfahrungen des europäischen Integrationsprozesses folgend, wären solche „natürliche Kooperationspartner“ etwa jene Staaten, mit denen man zeitgleich der EU beigetreten ist. Es hat schon seinen Grund, warum bei den einzelnen Erweiterungsrunden immer eher „systemgleiche“ Staaten beitreten. Die Erweiterungsgruppe von 1995 umfasst neben Österreich noch Schweden und Finnland.

Nach 1995 sind diese drei Staaten noch einige Zeit gemeinsam tätig geworden. Warum hat man das danach vernachlässigt? Und wenn Österreich tatsächlich das Bedürfnis verspürt, tragfähige und belastbare Partnerschaften auf europäischer Ebene zu schaffen, dann kommt man um die beiden großen Nachbarn und EU-Gründerstaaten Deutschland und Italien sowieso nicht herum.

Schließlich sollte man bei all der falschen Monarchienostalgie vielleicht auch nicht außer Acht lassen, dass die heutigen vier Visegrád-Staaten mit den ursprünglichen Gebieten von vor 100 Jahren nicht mehr viel gemein haben.

Über den Raum sind zwei Weltkriege hinweggegangen, und das heutige Polen etwa hat kaum mehr Ähnlichkeit mit jenem Staat, dessen Bevölkerung ursprünglich aus einem Drittel Deutschen, Juden und Ukrainern bestanden hat. Spätestens wenn dort wieder jene Stimmen lauter werden, die exorbitante Wiedergutmachungszahlungen für begangene Kriegsgräuel fordern, wird sich zeigen, wie schnell diese Forderungen auch gegenüber Österreich ins Spiel gebracht werden.

Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2017)

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