Nicht diese Töne, Herr Steinhauser!

Der Bundeskanzler hat recht. Gesicherte Erkenntnisse fehlen.

In der „Presse“ vom 13.Februar tritt der grüne Albert Steinhauser vehement für eine „Rehabilitierung“ der Opfer des „Austrofaschismus“ ein. Gleichzeitig greift er den Bundeskanzler an, der eine solche Initiative nach Gesprächen mit Historikern „derzeit nicht plant“. Zu Recht, Herr Bundeskanzler. Wort und Ton des Antrags von Steinhauser, dass für das, was er „Rehabilitierung“ nennt, gesicherte Erkenntnisse und bei den Antragstellern die richtige Grundeinstellung fehlen.

Steinhauser sitzt über die Vergangenheit zu Gericht. Die Wahl des Begriffs „Austrofaschismus“ und die damit verbundene völlig einseitige Betrachtung eines tragischen Kapitels unserer Geschichte sind von Vorurteilen geprägt.

Der Zeitgeschichtler Dieter Binder spricht von einer „Amalgamierung des Opferbegriffs, der verfolgte Sozialdemokraten mit illegalen Nationalsozialisten auf eine Stufe stellt und durch eine groteske Dämonisierung des ,Austrofaschismus‘ den Nationalsozialismus verharmloste“. Dan Diner, Professor für Zeitgeschichte in Leipzig und Jerusalem spricht von „Funktionsdikaturen“: autoritäre Regime, wie die Regierung Dollfuß, deren wesentliches Ziel die Erhaltung des Landes war. Stanley Payne, der bedeutendste Faschismusforscher unserer Zeit wörtlich in seinem Standardwerk: „So waren in Österreich – anders als in Deutschland – die nichtfaschistischen Kräfte der Rechten in der Lage, vorbeugend eine eigene autoritäre Regierung zu errichten und den Nazis den Weg zur Macht zu versperren, was vor allem ... auf die entschlossene Führung des zum Märtyrer gewordenen Dollfuß zurückzuführen war.“

Steinhauser lässt völlig außer Acht, dass viele österreichische Historiker wie Payne der Meinung sind, Dollfuß habe die parlamentarische Demokratie in seinem Staatsstreich gleichsam aus Notwehr beseitigt. Ähnlich wie in Deutschland drohte auch in Österreich eine nationalsozialistische Machtergreifung. Das wollte Dollfuß verhindern.

Unzweideutigkeit ist auch angebracht, wenn es um die Beurteilung jener geht, die gegen die Regierung Dollfuß mit der Waffe in der Hand vorgingen. Der Linzer Professor Roman Sandgruber dazu: „Auf der anderen Seite sind auch die Konzepte, die jene Exponenten des Austromarxismus, wie etwa Richard Bernaschek, die für den Ausbruch des Bürgerkriegs den Anlass boten, 1933/1934 vorlegten und vertraten, von der Demokratie oder ihrer Wiederherstellung weit entfernt und sind in ihrer Nähe zum Nationalsozialismus einerseits, zu Kommunismus und bolschewistischer Diktatur andererseits kritisch hervorzuheben...“ Sie rehabilitieren?

Einzelprüfung

Die Frage, ob Handlungsbedarf besteht, ist offen. Ein Gesetz im Jahre 1945 hatte alle Verfahren eingestellt und die Rechtsfolgen beseitigt. Es wurde missverständlich Amnestiegesetz bezeichnet, es beabsichtigte aber nicht Amnestie, sondern Beseitigung. Als es um die Rehabilitierung der Deserteure im NS-Staat ging, haben tiefgehende Untersuchungen von Historikern gezeigt, dass ebendieses Gesetz zur Beseitigung des Unrechts nicht ausreicht. Ernsthafte Diskussionen waren auf einer gesicherten Faktenlage möglich. Eine allgemein akzeptierte Regelung wurde im Nationalrat erarbeitet und beschlossen.

In einer ähnlichen Vorgangsweise wären zuerst einmal die historischen Fakten für die Dollfuß-Zeit genau zu untersuchen. Wenn sich dann noch Handlungsbedarf zeigt, dann muss man über eine Einzelprüfung wahrscheinlich weniger Fälle reden. Im Geiste jener Grundeinstellung, wie sie die Parteiobleute von ÖVP und SPÖ, Gorbach und Pittermann, durch ihren gemeinsamen Besuch der Gräber von Opfern beider Seiten im Jahre 1964 ausdrückten.

Univ.-Prof. Dr. Andreas Khol war von 2002 bis 2006 Nationalratspräsident und ist nun Obmann des Seniorenbunds der ÖVP.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2010)

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