Kosovo – auf dem Weg nach Europa?

Österreich muss auf eine unzweideutige Haltung der EU hinwirken: keine Aufnahme Serbiens, bevor die Kosovo-Frage nicht gelöst ist!

Am 17. Februar 2008 erklärte der Kosovo „einseitig“ seine Unabhängigkeit auf der Grundlage des Ahtisaari-Plans. Dieser wollte den Kosovo-Konflikt durch einen von der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der EU, unterstützten und beaufsichtigten Unabhängigkeitsprozess lösen. Zusammen mit einer EU-Perspektive für beide Seiten, Serbien und Kosovo, sollte so das Problem des Kosovo-Status überwunden werden. Wie es heute tatsächlich steht, erfuhr dieser Tage Außenminister Spindelegger in Belgrad, als er den serbischen Außenminister vorsichtig ermahnte, in der Kosovo-Frage zugunsten Serbiens EU-Zukunft flexibler aufzutreten. Jeremic reagierte nicht nur mit der üblichen Formel „Serbien wird Kosovos Unabhängigkeit niemals anerkennen“ – sondern brüskierte Österreichs Außenminister mit der Verweigerung einer gemeinsamen Schlusserklärung.

Eine Bilanz der zwei letzten Jahre ergibt zwar einige interne Fortschritte sowohl im Kosovo als auch bei Serbiens Reformbemühungen in Hinblick auf seinen EU-Beitritt, aber keine Bewegung beim Statuskonflikt. Mehrere hartnäckige Probleme verhindern, dass über das Herstellen einer vollendeten Tatsache eines „unabhängiger Kosovo“ der Konflikt gelöst werden kann:
•Erst 65 Staaten, ein Drittel der internationalen Staatengemeinschaft, haben Kosovos Unabhängigkeit bisher anerkannt. Belgrad trommelt sein „Niemals Anerkennung“ und wehrt sich, unterstützt von Moskau, gegen den Verlust „seiner Provinz“ mit allen diplomatischen Mitteln sowie mit der Anrufung des Internationalen Gerichtshofes, der im Frühjahr über die Rechtmäßigkeit der Unabhängigkeitserklärung entscheiden wird. Die EU-Mission „Eulex“, als zentrales Element bei der Verwirklichung des auf der Unabhängigkeit aufbauenden Ahtisaari-Plans gedacht, leidet an Glaubwürdigkeit und Effizienz, weil sie sich in der Statusfrage für neutral erklären muss, da fünf EU-Mitgliedstaaten die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkennen.
•Jetzt rächt sich die Unterschätzung der Kosovo-Teilung in den de facto von Serbien administrierten Norden und den von der Regierung in Pristina beherrschten Süden. Die allseits beschworene Kosovo-Unteilbarkeit kann die De-facto-Teilung nicht zudecken. Daran hat sich nichts geändert. Wohl konnte Pristina erstmals bei den Kommunalwahlen im letzten November einen bemerkenswerten Teil der in den Enklaven im Süden lebenden Serben für die Teilnahme gewinnen, ein ermutigender Fortschritt. Aber der nun gestartete Versuch, über dieses Modell Pristinas Autorität auch auf den „serbischen“ Norden auszudehnen, muss sehr vorsichtig beurteilt werden. Da steht eine gewaltige Kraftprobe mit Belgrad bevor, das sein Faustpfand wohl mit allen Mitteln verteidigen wird.
•Am schwersten wiegt aber, dass die Hoffnung, eine gemeinsame Zukunft in der EU werde den Statuskonflikt entschärfen, seit 2008 nicht an Wirksamkeit gewonnen hat. Wohl erklärt Belgrad seinen EU-Beitritt zur Priorität seiner Außenpolitik, attestiert die EU Serbien Fortschritte und ist Belgrad auch sehr entgegengekommen mit der Visa-Aufhebung und dem Inkrafttreten des „Interim“-Abkommens am 1. Februar, der Vorstufe für das Stabilitäts- und Assoziationsabkommen. Aber zugleich betonen sowohl die EU als auch Belgrad, dass die Kosovo-Frage und Serbiens EU-Beitritt nichts miteinander zu tun hätten. Das ist einfach irreal. Denn solange das Kosovo-Problem nicht gelöst ist, kann und darf die EU Serbien nicht aufnehmen. Nicht aus Geringschätzung gegenüber Belgrad oder um Druck zu machen – sondern schlicht, weil sonst das Kosovo-Problem zum EU-internen Problem wird und die innere und äußere Handlungsfähigkeit der EU massiv beeinträchtigt. Die Aufnahme Zyperns ohne vorherige Überwindung seiner Teilung sollte Warnung und Lehre sein. Der Westbalkan ist voll derartiger nationalistisch-emotionaler Konflikte: Der Adria-Grenzkonflikt zwischen Slowenien und Kroatien scheint entschärft; der absurde Namensstreit zwischen Mazedonien und Griechenland schwelt dahin, Bosnien/Herzegowinas Probleme bleiben ungelöst – hohe Hürden für die EU-Integration des Westbalkans.

Apartheid-Denkweisen

Wie kann es weitergehen beim Kosovo-Konflikt? Überlegungen, den Kosovo-Norden abzutrennen, machen keinen Sinn, weil sonst sofort Forderungen nach Eingliederung der albanisch besiedelten Gebiete Südserbiens und Mazedoniens in den Kosovo aktuell werden – eine Horrorvorstellung für die Stabilität der ganzen Region. Das Faktum Multi-Ethnizität in dieser Region verbietet Lösungsversuche in Richtung „saubere Grenzen nach ethnischen Linien“. Daher kommt der wirtschaftlichen, sozialen, bildungspolitischen Stützung des alltäglichen Zusammenlebens von Albanern, Serben und den anderen Minderheiten, losgelöst von den Staatsgrenzen, höchste Priorität zu. Alles andere wäre unerträgliches Nachgeben gegenüber Apartheid-Denkweisen.

Eine Zukunft in der EU wurde dem Westbalkan beim Saloniki-Gipfel 2003 versprochen. Aber es darf nicht ausgeblendet werden: Ohne vorherige Lösung der zwischenstaatlichen Konflikte kann es keinen Beitritt geben. Diese klare Botschaft fehlt bisher. Die jüngste Mahnung einiger EU-Staaten, Belgrad möge seinen „Ton in Sachen Kosovo mäßigen“, bleibt da viel zu schwach. Insofern waren Spindeleggers Aussagen beim Belgrad-Besuch sehr angebracht. Dringende Aufgabe Österreichs bleibt nun, für eine unzweideutige Haltung der gesamten EU gegenüber Serbien zu sorgen: Ohne vorherige Lösung der Kosovo-Frage darf und kann die EU Serbien nicht aufnehmen, um sich selbst nicht zu destabilisieren.

Friedhelm Frischenschlager, ehem. Verteidigungsminister, 2001/03 OSZE-Mission in Kosovo, 2004/09 Board Member des RTK (Radio Television Kosovo).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2010)

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