Karl Lueger und sein Ring

Eine Replik zu Herbert Kaspar.

Am 13. März 1938 wurde offiziell der Anschluss Österreichs vollzogen. Die 62. Wiederkehr der Auslöschung Österreichs sowie Karl Luegers hundertjähriger Todestag sollen uns dringend in Erinnerung rufen, dass trotz vieler Anstrengungen der letzten Jahrzehnte noch immer einige Baustellen der Erinnerungspolitik vor allem auch in der Topographie von Erinnerungsorten vorhanden sind. Dies ist aber auch daran ersichtlich, dass gewisse Politiker unseres Landes immer noch eidesstattliche Erklärungen zur Anerkennung von historischen Fakten abgeben müssen.

Karl Lueger hat als Bürgermeister Wiens unbestritten große Leistungen in der Kommunalpolitik erbracht. Auch wenn er nie in allgemeinen und freien Wahlen, sondern aufgrund eines vordemokratischen Wahlsystems gewählt wurde, kann er durchaus einen Erinnerungsort haben. Lueger war aber auch – wie kaum ein anderer – ein Protagonist des österreichischen Antisemitismus, der Adolf Hitler maßgeblich inspiriert hatte und letztendlich zur Vertreibung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung führte. Die Lueger zugeschriebenen Worte „Wer a Jud ist, bestimme ich“ und „Der Jud ist schuld“ zeigen deutlich, wie er einen rassistischen Diskurs populistisch zur Machterweiterung einsetzte.

Wir sind nicht dafür, Denkmäler zu schleifen und die Geschichte zu beschönigen. Wir sind auch nicht der Meinung, dass Umbenennungen von Plätzen und Straßen generell sinnvolle Elemente einer Erinnerungspolitik sind. Zu sehr würde damit die Vergangenheit Spielball aktueller politischer Interessen – etwas, was wir in Ländern mit oft stattfindendem Regimewandel mit Misstrauen beobachten. Dennoch bedarf auch die Topografie von Ortsbezeichnungen eines jeden Stadtbildes einer kritischen Diskussion und sorgfältigen Pflege – vor allem in Wien, das trotz seiner schwierigen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu Recht den Anspruch erhebt, eine Kulturhauptstadt der Welt zu sein.

Schattenseiten nicht thematisiert

Daher muss auch die Tatsache, dass Karl Lueger in Wien über zwei prominente Erinnerungsorte verfügt, dringend überdacht werden. Diese doppelte Anerkennung beleidigt zu viele seiner Opfer und ihrer Nachfahren. Problematisch ist vor allem, dass die Schattenseite Luegers im Stadtbild nicht thematisiert und damit ignoriert wird.

Mehr noch als der Lueger-Platz stört die Widmung eines wichtigen Teils des Rings bei der Universität Wien. Der Antisemitismus dieser Stadt war u.a. dafür verantwortlich, dass Sigmund Freud, der zweifellos wichtigste Österreicher in der Wissenschaft- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts – an dieser Alma Mater keine ausreichende Anerkennung erfuhr. Auch die Ermordung des Philosophen Moritz Schlick sowie die systematische Vertreibung der jüdischen Intelligenz aus Wien entziehen der Namensnennung des Rings im Rückblick jede Legitimität.

Österreich hat seit der Affäre Waldheim bewiesen, dass es in einem schmerzhaften Prozess mit seiner Vergangenheit umgehen kann. Ein paar Dinge sind allerdings immer noch zu erledigen. Wir begrüßen jedenfalls die Initiative Martin Krenns und der Angewandten zur Umgestaltung des Lueger Denkmals. Erfrischend ist auch die Initiative des Aktionskünstlers und Malers Josef Schützenhöfer, der auch für die Befreier Österreichs im 2. Weltkrieg – und nicht nur für die Verteidiger des „Deutschen Reiches“ – einen respektvollen Platz auf den Erinnerungsorten der Friedhöfe einfordert. Seine Initiative „The Liberator Project“ ist bei einer jüngsten Vortragstournee in den USA auf große Unterstützung gestoßen.

Für eine neue Namensgebung des Rings bei der Universität Wien schlagen wir daher einen Ideenwettbewerb vor, der ihrer historischen Bedeutung gerecht wird.

Eric Kandel ist Gehirnforscher an der Columbia University und Ehrenbürger der Stadt Wien. Andreas Stadler ist Direktor des Österr. Kulturforums New York.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2010)

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