Ein mutiges Wort von Heinz Fischer

Eine Replik zum Gastkommentar von Harald Walser vom 19. März.

Walser kritisiert Heinz Fischers Klarstellung, „die Beneš-Dekrete waren schweres Unrecht“, als „undifferenzierte Äußerung“. Die Verbalattacken aus Prag verdeutlichen, dass Österreichs Bundespräsident die Finger auf eine Wunde legte, die den Tschechen weiterhin wehtut. Warum auch den Grünen Fischers Wort vom schweren Unrecht sauer aufstößt, kann nur erahnt werden, wenn man deren ideologischen Unterbau berücksichtigt. Ihnen geht es nicht um Fakten, vielmehr sollen manipulierte Geschichtsbilder Unrecht legitimieren helfen. Das war Methode in der Geschichtsschreibung kommunistischer Regime.

Walser steht in dieser Tradition, zumindest deckt sich sein Bild von den Sudetendeutschen mit jenem der stalinistischen Ära. Walsers Zugang zum sudetendeutsch-tschechischen Verhältnis im 20.Jahrhundert konzentriert sich auf die Zeitspanne 1938–1945 und minimiert sich auf folgenden Mythos: Die Sudetendeutschen, die in „einer demokratischen Insel im faschistischen Mitteleuropa“ lebten, liefen in Scharen zu den Nationalsozialisten über, verrieten als Fünfte Kolonne die Tschechoslowakei und wurden 1945 für ihre Illoyalität zu Recht mit Heimatverlust und Vertreibung bestraft. Das, Herr Walser, kann zwei Jahrzehnte nach dem kommunistischen Kollaps keiner kritischen Öffentlichkeit mehr aufgetischt werden.

Die Geschichtsforschung steht heute ganz woanders. Walser weist zu Recht auf das Unrecht vor 1945 hin, zitiert zu Recht die NS-Verbrechen im Protektorat mit 250.000 Opfern, bleibt aber die Antwort schuldig, wer dafür die Verantwortung trägt. Walser bemüht hier die alte Kollektivschuldthese. Die wurde inzwischen aber auf dem Misthaufen der Geschichte entsorgt. Die Namen jener Sudetendeutschen, die sich eines NS-Verbrechens schuldig machten, sind bekannt, sie wurden teils sogar hingerichtet. Was aber war das Verbrechen der drei Millionen Vertreibungsopfer? Freilich war die Mehrheit für den Anschluss. Neben sprachlichen, ethnischen und historischen Motiven waren existenzielle Ängste ausschlaggebend dafür. Die Genese der deutsch-tschechischen Entfremdung des 20. Jahrhunderts begann keineswegs erst 1938.

Soziale Verelendung

Walser übersieht, dass die tschechische Okkupation sudetendeutscher Gebiete negativistische Ressentiments schürte, die für viele eine Identifizierung mit der neuen Staatsmacht unmöglich machte. Als die sudetendeutsche Sozialdemokratie am 4. März 1919 zu einem Generalstreik aufrief, bezahlten 54 Sudetendeutsche ihren zivilen Ungehorsam mit dem Leben. In Paris sicherte sich indessen Außenminister Edvard Beneš mit fragwürdigen Fakten den Erwerb dieses von Wien beanspruchten Territoriums. Die Krisen in den 1930er-Jahren führten dann zum Ruin der sudetendeutschen Industrie. Die Arbeitslosigkeit war bei den Sudetendeutschen viermal höher als unter Tschechen. Die Folgen waren eine soziale Verelendung des Mittelstandes, Anfälligkeiten für Radikalismen und das Ende des sudetendeutschen Aktivismus. Darauf erst gedieh Konrad Henleins Sudetendeutsche Heimatfront.

Eine Worthülse ist auch Walsers Hinweis auf die „kollektive Scham“ der Tschechen für das, was sich an Verbrechen nach 1945 ereignete. In Prag gelten die Beneš-Dekrete weiterhin als unantastbar. Dialogverweigerung, Verdrängung und die Verharmlosung der Vertreibungsverbrechen sind weder vertrauensbildend noch geeignet für eine kritische Aufarbeitung. Fischers mutiges Wort ist daher eine klare Absage an die geistige Blockadepolitik der Tschechen. Die Grünen hingegen dienen mit ihrer plumpen Rechtfertigungsideologie nur dem tschechischen Links- und Rechtsextremismus.

Dr. Peter Wassertheurer (geb. 1964) ist Historiker, Germanist und Projektkoordinator im

Haus der Heimat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2010)

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