Der Kuschel-Imam und die öffentliche Sicherheit

Die Anzeige gegen den Imam Scheich Adnan Ibrahim wegen Aufruf zum Terrorismus dürfte liberale Muslime in Österreich kaum verwundern.

M
it der Strafanzeige bei der Staatsan waltschaft Wien gegen Scheich Ad nan Ibrahim von der Wiener Schura-Moschee, rückt nicht nur einer der Lieblingsimame der österreichischen Öffentlichkeit plötzlich ins Rampenlicht. Vielmehr wird damit ein Schlaglicht auf den Doublespeak europäischer Islamisten geworfen, die es in der Öffentlichkeit verstehen, sich als gemäßigte Dialogvertreter darzustellen, während sie in ihren Moscheen ganz andere Positionen vertreten. Die Strafanzeige gegen Scheich Adnan beruht darauf, dass der Imam der Schura-Moschee auf seiner Website in arabischer Sprache unter anderem erklärt hatte, dass moslemische Männer keine Ehen mit Christinnen eingehen sollen, da dadurch "fremdes Blut in unsere Nachkommen" komme, was "ein soziales Verbrechen" sei.

Zudem habe er das Märtyrertum gelobt und dem klassisch islamischen "Völkerrecht" folgend, jene Staaten, die nicht unter islamischer Herrschaft stehen, als dar al-harb, also als "Land des Krieges" bezeichnet, eine unter konservativen Muslimen durchaus weit verbreitete Auffassung. Adnan Ibrahim bestreitet zwar, für die Inhalte seiner Website verantwortlich zu sein, die Predigt war jedoch bis zur Abschaltung der Website nach der Anzeige ohne jede Distanzierung dort zu finden.

Was die nicht-muslimische österreichische Öffentlichkeit verwundern mag, dass nämlich ausgerechnet jener Imam, der die erste medial gut vermarktete Anti-Terrorismus-Fatwa in Wien veröffentlicht hatte, nun selbst in den Geruch kommt, zum "Terrorismus und zum Aufruhr gegen staatliche Institutionen" aufgerufen zu haben, verwundert liberale Migranten mit islamischem Migrationshintergrund oder auch Nichtmuslime, die sich tatsächlich mit den Positionen von Muslimen in Europa auseinandergesetzt haben, weniger. Einerseits ist es sehr fraglich, ob diese Aussagen Scheich Adnans tatsächlich einen Aufruf zum "Terrorismus" darstellen, andererseits ist diesen schon lange bekannt, dass der in der Öffentlichkeit als Kuschel-Imam verkaufte Palästinenser aus Gaza keineswegs so kuschelig ist, wie ihn die österreichische Öffentlichkeit gerne hätte.

Das Naheverhältnis Scheich Adnans zur Muslim-Bruderschaft ist unter Wiens Muslimen ein offenes Geheimnis. Dass die palästinensische Sektion der Muslim-Brüder 1987 als politische und militärische Vorfeldorganisation die "Islamische Widerstandsbewegung" Harakat al-muqawama al-islamiyya, bei uns unter dem Akronym Hamas bekannt, gründete und bis heute deren ideologische Basis bildet, mag mit dazu beitragen, dass sich auch Anhänger der Muslim-Brüder in Europa immer wieder politisch eindeutig zum Nahostkonflikt positionieren.

Aber auch die sanfte Distanzierung von Anas Schakfeh, dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ), wonach diese Äußerungen "unverständlich und nicht nachvollziehbar" seien, gefolgt von einer Verteidigung Scheich Adnans durch die IGGiÖ-Pressesprecherin Baghajati sind wohl nichts als Schakfehs übliche Diplomatie. Schließlich gibt es seit langem ein enges Naheverhältnis zwischen der Führung der IGGiÖ und dem populären Scheich. Wie Tariq Ramadan und andere prominente Vertreter der Ideologie der Muslim-Bruderschaft in Europa auch, hat es der Scheich Adnan in den letzten Jahren sehr erfolgreich verstanden, sich in der nicht-arabischsprachigen Öffentlichkeit als gemäßigter Ansprechpartner des Islam zu präsentieren.

Dazu diente nicht nur die medienwirksame Anti-Terror-Fatwa, sondern auch ein gut funktionierendes, aber weitgehend informell arbeitendes Netzwerk der Muslim-Brüder. Da die Muslim-Bruderschaft in Österreich, wie in den meisten europäischen Staaten, keine offizielle Organisation unterhält, gibt es auch keine offiziellen Mitgliedschaften. Die Zugehörigkeit einzelner Personen zur 1928 von Hassan Al-Banna in Ägypten gegründeten weltweit tätigen sunnitisch-islamistischen Organisation ist so kaum nachweisbar, ihre ideologische Nähe sehr wohl. In Österreich haben die SchülerInnen Hassan Al-Bannas in den letzten Jahren nicht nur die wichtigsten Positionen in der offiziellen Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) besetzt, sondern sich auch als das Gesicht des Islam präsentieren können. An diesem Erfolg arbeiteten u. a. die deutsche Konvertitin Carla Amina Baghajati, Medienreferentin der Glaubensgemeinschaft, ihr Gatte Tarafa Baghajati, der sich erst kürzlich auf einer Konferenz gegen weibliche Genitalverstümmelung in Kairo als "österreichischer Vertreter" in Szene setzen konnte, und nicht zuletzt Omar Al-Rawi, Integrationsbeauftragter der IGGiÖ und Landtagsabgeordneter der Wiener SPÖ, und Mouddar Khouja, Mitbegründer diverser interreligiöser Dialogforen und Vertreter der Europäischen Islamischen Konferenz, mit.

Alle vier haben sich als gemeinsame organisatorische Plattform in der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen zusammengeschlossen, die wiederum sehr erfolgreiches Networking sowohl im linksliberalen NGO-Bereich als auch bei christlichen Kirchen oder eben der SPÖ betreibt. Tarafa Baghajati etwa ist Vorstandsmitglied des European Network against Racism (ENAR) und versucht immer wieder, "den Islam" in der Wiener Integrationskonferenz oder bei österreichischen und europäischen Sozialforen zu vertreten. Seine Frau Carla Baghajati ist beliebte Kommentatorin österreichischer Medien und versucht sich erfolgreich im Networking mit feministischen Gruppen. Allen gemeinsam ist die politische und organisatorische Nähe zu Anas Schakfeh, dem Präsidenten der IGGiÖ.

Die Schura-Moschee Scheich Adnans spielte dabei in den letzten Jahren zunehmend die Rolle einer Vorzeigemoschee für die IGGiÖ. Zu Gast waren nicht nur regelmäßig grüne und sozialdemokratische Politiker, sondern etwa auch Fritz Edlinger, wichtigster österreichischer Lobbyist autoritärer Regime in der Arabischen Welt, der bereits im November 2003 in der Schura-Moschee für den Irak Geld sammelte. Wer genau dieses Geld bekam, wurde nie überprüft.

Die Chimäre einer gemäßigten IGGiÖ, mit ihrem gemäßigten Vorzeige-Imam Scheich Adnan, war bislang jedoch trotz aller - auch innerislamischen - Kritik an der IGGiÖ ebenfalls im Interesse österreichischer Politiker. Die SPÖ konnte mit Al-Rawi, der etwa auch in der Wochenzeitung "Furche" den Terror im Irak zum legitimen Widerstand aus der Bevölkerung erklärt, in den Wiener Moscheen auf billigen Stimmenfang gehen, und auch alle anderen Parteien konnten sich der beruhigenden Vorstellung hingeben, die Islamische Glaubensgemeinschaft wäre erstens repräsentativ für alle Muslime und zweitens kuschelig und nett. Diese Selbstsuggestion ging so weit, dass Scheich Adnan noch vor einem halben Jahr in der "Öffentlichen Sicherheit" (3-4/06), der Zeitschrift des Innenministeriums, wohlwollend zum Islam interviewt wurde.

Genaueres Hinsehen und wirkliche Auseinandersetzung mit den Vorstellungen von Muslimen in Österreich konnte man sich mit dieser Haltung ersparen. Dazu hätten ja auch islamische Mitbürger in ihren politischen Vorstellungen ernst genommen werden müssen, dazu hätte ein Dialog geführt werden müssen, der diesen Namen auch verdient.

Die Anzeige gegen Scheich Adnan ändert daran wenig. Nicht er allein ist das Problem, und mit großer Wahrscheinlichkeit hat er auch nichts mit Terrorismus zu tun. Der politische Islam ist weniger ein polizeiliches als ein politisches Problem. Anhänger der Muslim-Brüder haben die Führung IGGiÖ übernommen und politisch erfolgreich monopolisiert, was in Österreich als "islamisch" wahrgenommen wird. Von kirchennahen Publikationen über antirassistische NGOs bis zur SPÖ haben sie längst Anerkennung und politischen Einfluss errungen, der nur dann zurückgedrängt werden kann, wenn auch säkulare Stimmen österreichischer Muslime hörbar gemacht würden.

Thomas Schmidinger ist Lehrbeauftragter am Inst. für Politikwissenschaft der Uni Wien, Obmann der Hilfsorganisation WADI und Vorstandsmitglied von IRAQUNA.

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