Feinde überall: Das Weltbild von Jobbik

Die rechtsradikale Jobbik-Partei zieht als drittstärkste Kraft ins ungarische Parlament ein.

Jobbik, die „Bewegung für ein besseres Ungarn“, hätte es fast geschafft: Die ungarischen Rechtsextremisten haben nur knapp ihr Ziel verfehlt, die sozialistische MSZP, die acht Jahre an der Regierung war, vom zweiten Platz zu verdrängen. Aber auch ohne diesen Erfolg ist das Abschneiden dieser Partei erstaunlich: Bei den Wahlen ins Europaparlament, im Juni 2009, war die Partei erstmals auf nationaler Ebene angetreten – und hatte auf Anhieb 14,8 Prozent der Stimmen erreicht. Nun steht Jobbik bei 16,7 Prozent.

Jobbik hat einen spezifisch ungarischen Akzent – und dennoch ist der Aufstieg dieser Partei auch Teil eines gesamteuropäischen Phänomens. Ungarisch ist, dass Jobbik für ein ganz besonderes ungarisches Narrativ steht: ein revisionistisches Geschichtsbild, das den Vertrag von Trianon einfach nicht akzeptiert, und das für Konflikte mit den Nachbarn sorgt, vor allem mit Rumänien und der Slowakei.

Rumänien und die Slowakei liefern die äußeren Feindbilder, Roma und Juden die inneren. Für Jobbik sind Kriminalität und Roma fast eins – und die Gewalt, gegen Roma gerichtet, wird als kollektive Notwehr gerechtfertigt. Dass die mit Jobbik verbundenen Ungarischen Garden (zwar verboten, aber nach wie vor sichtbar) provokant durch die von Roma bewohnten Viertel in den Städten und Dörfern ziehen, passt da ins Bild.

Symbol der Pfeilkreuzler

Die Ungarischen Garden tragen eine Uniform, die nicht zufällig an die SS erinnert. Und die Arpad-Fahne, die bei allen Jobbik-Kundgebungen flattert, war auch das Symbol der Pfeilkreuzler – jener radikal antisemitischen Partei, die 1944 für die willfährige, oft auch vorauseilende Kooperation mit der SS beim Abtransport der ungarischen Juden in die Vernichtungslager sorgte.

Jobbiks Aufstieg setzt eine Tradition fort, für die nach 1990 zunächst MIEP (Partei für Gerechtigkeit und Leben) stand. Interne Konflikte führten zum Verschwinden dieser Partei, doch die Firmenschilder mögen wechseln – der Inhalt des ungarischen Rechtsextremismus bleibt gleich. Jobbik steht für die Neigung, die Weltpolitik als Resultat von Verschwörungen zu sehen. Im Mittelpunkt der Verschwörungen stehen immer die USA und Israel. Der ausgeprägte, gelegentlich „nur“ als Antizionismus auftretende Antisemitismus der ungarischen Rechtsextremen verbindet sich ohne Probleme mit einem an Goebbels-Propaganda erinnernden Antiamerikanismus: Die Schuldigen an allen Missständen der Welt und insbesondere in Ungarn sind immer dieselben Verschwörungszentralen.

Natürlich ist Jobbik auch antieuropäisch– im Sinne einer Ablehnung der EU und der europäischen Integration. In dieser Hinsicht „passt“ Jobbik in die Familie der Front National und der FPÖ, und Jobbik wird ja auch immer wieder als möglicher Partner von den anderen europäischen Rechtsextremisten umworben. Jobbiks Problem dabei ist, dass der ungarische Nationalismus keine Probleme mit französischen oder niederländischen oder auch österreichischen und bulgarischen Schwesterparteien hat. Das Problem sind die Nachbarn, und hier wiederum Rumänien und die Slowakei. Die Rechtsextremisten dieser Länder sehen in Ungarn ihren „Erbfeind“ – und Jobbik steht für alles, was sie fürchten und bekämpfen.

Jobbiks Wählerschaft scheint sich der Struktur der westeuropäischen Parteien anzugleichen, die zwischen den Begriffen „rechtsextrem“ und „rechtspopulistisch“ oszillieren. War die MIEP-Wählerschaft vor allem von Honoratioren aus der Provinz geprägt, so ist Jobbik immer mehr die Partei der jungen Modernisierungsverlierer: Schlecht ausgebildete Junge (mehr Männer als Frauen) in den wirtschaftlich rückständigen Regionen des ungarischen Ostens wählen überproportional die Rechts-außen-Partei. Allein deshalb wird man Jobbik nicht als vorübergehendes Phänomen abtun können.

Dass die regionale Stärke Jobbiks auch mit den traditionellen Hochburgen der Reformierten Kirche Ungarns korreliert, ist primär mit dem Mangel an ökonomischer Balance zu erklären. Aber es fällt auf, dass der ungarische Calvinismus, der sich im Schutze der osmanischen Herrschaft über die Gegenreformation retten konnte und immer schon tendenziell antiwestlich (weil anti-Habsburg) war, besondere nationalistische Töne hervorbringt; eine Rhetorik, die sich eben auch – verstärkt – bei Jobbik findet.

Der aggressive Nationalismus Jobbiks erinnert an Zeiten, die in Westeuropa doch weitgehend überwunden sind. In den Jahrzehnten kommunistischer Diktatur wurde rechtsextremes Verhalten für überholt erklärt. Doch die Feindbilder und der nationalistische Hass waren nur im Gefrierschrank. Nun sind sie aufgetaut – und gleichen den Bildern der Welt von gestern.

Ängste der Modernisierungsverlierer

Es gibt zwei Szenarien, die Jobbiks unmittelbare Zukunft betreffen: Wird die Partei, als drittstärkste Fraktion im Parlament, sich schrittweise an die ungeschriebenen Regeln des Parlamentarismus anpassen und zu einer systemimmanenten Partei der rechten Opposition gegen die gemäßigt rechte Fidesz-Regierung werden? Oder wird sie das Parlament nur als Bühne für eine Agitation gegen die parlamentarische Demokratie nützen?

Jobbik mobilisiert, indem die Partei die Ängste der Transformations- und Modernisierungsverlierer mit den alten Feindbildern zu einem explosiven Amalgam mischt. Die ungarische Demokratie ist auf diese Art von Fundamentalopposition schlecht vorbereitet: Es fehlt an demokratischem Konsens, der Fidesz und die nunmehr so geschwächte Linke verbindet. Auf diesem Boden kann Jobbik auch in Zukunft auf weitere Erfolge setzen.

Anton Pelinka (*1941 in Wien) ist seit 2006 Professor für Politikwissenschaft und Nationalismusstudien an der Central European University in Budapest.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2010)

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