Ein ganz besonderer Papst

Realismus, Gelassenheit und Tiefgang zeichnen Benedikt XVI. aus.

Langsam spricht es sich herum, und das freut mich. Mehr und mehr wird auch kritischen Journalisten wie zum Beispiel Ross Douthat von der „New York Times“ klar, welche Rolle Benedikt XVI. im Zusammenhang mit Missbrauch spielt und gespielt hat, schon in seiner Zeit als Kardinal und Präfekt der Glaubenskongregation und völlig konsequent auch als Papst. Er war es, der Papst Johannes Paul II. davon überzeugt hat, die Agenden bezüglich sexueller Vergehen von Priestern an Jugendlichen unter 18 der Glaubenskongregation zu übertragen und diese mit richterlichen Befugnissen auszustatten, um eine rasche und effiziente Abwicklung zu garantieren; und unter der Führung von Kardinal Ratzinger wurden die seit 2001 gültigen strengen Richtlinien zur Bearbeitung solcher Fälle zur Approbation gebracht. Persönlich habe ich bei ihm in den letzten Jahren, insbesondere im Zusammenhang mit der von mir in St. Pölten durchgeführten Apostolischen Visitation, Halt und Ermutigung gefunden, die notwendigen Maßnahmen konsequent durchzuziehen. Es ging dabei zwar nicht um sexuelle Vergehen von Priestern an Minderjährigen, aber doch auch um sehr delikate Materien.

Nüchterner Blick

Aus diesen persönlichen Erfahrungen heraus möchte ich mich gern ein wenig näher mit der Person des Papstes befassen. Eine Besonderheit Papst Benedikts ist sein sehr nüchterner Blick, der sich der Realität nicht verschließt, auch wenn diese manchmal sehr schmerzhaft ist.

Zu seinem breiten philosophisch-theologischen Fundus gesellt sich ein außerordentliches Gedächtnis für Personen und Zusammenhänge. Das macht ihn zum wertvollen Zeitzeugen des Konzils und der nachkonziliaren Zeit mit all ihren Entwicklungen. In seinen 20 Jahren als Präfekt der Glaubenskongregation wurde er wie wohl kaum sonst jemand in der Welt vertraut mit allen wichtigen Zeitströmungen und Vorgängen in Kirche und Welt.

Er ist über den deutschen Sprachraum hervorragend informiert und wusste stets sofort, worum es ging. Und immer gab er in seiner feinfühligen Weise Lösungsansätze. Als Papst hat sich diese seine enge Verbundenheit mit der Kirche in Österreich und Deutschland nach meiner Erfahrung nicht vermindert. Oft genügen wenige Minuten, zum Beispiel im Anschluss an eine Generalaudienz, um ein konkretes Thema anzusprechen, weil er die Fragen in unglaublicher Weise präsent hat und sofort zu reagieren vermag. Er ist in der Tat etwas ganz Besonderes, dieser Heilige Vater.

Und er geht den Dingen auf den Grund. Er schreibt neben seiner enormen Arbeitslast ein Buch wie „Jesus von Nazareth“, von dem bald der zweite Band erscheint. Wie schafft er das? Nun, Benedikt XVI. sieht den Mangel an Glauben an Jesus Christus als vielleicht den wesentlichsten Grund für viele Fehlentwicklungen in der Kirche nach dem Konzil und zugleich den Glauben an Christus als den Schlüssel zu jeder wahren inneren Erneuerung der Kirche. Papst Benedikt versucht, an der Wurzel anzusetzen. Seine Predigten kreisen fast immer um die Gottesfrage als die zentrale Frage der Kirche und jedes einzelnen Menschen.

Benedikt XVI. scheut aber zugleich keine Mühe, um die Menschen von heute vor dem Irrtum eines falschen Relativismus zu warnen, zu dem die Konsumgesellschaft unserer Zeit verführt. Für viele Menschen sind seine Worte wirklich gutes Brot, von dem sie zehren. Gott hat diesem Papst diesbezüglich eine ganz besondere Gabe geschenkt.

Benedikt legt, wenn er es für nötig ansieht, den Finger auf die Wunde. Manche meinen daraus ableiten zu können, dass er weniger geschickt sei als sein Vorgänger. Sie scheinen vergessen zu haben, wie heftig oft die Angriffe auf Johannes Paul II. gewesen sind. Und die Aufgabe Benedikts, der seinen Vorgänger sehr geschätzt hat, ist eine andere. Er wirkt in ungebrochener, treuer Kontinuität und bemüht sich um Vertiefung; in manchen Belangen setzt er aber Schritte, die manches, was in den letzten Jahrzehnten verwildert ist oder brachliegt, zur Gesundung führen.

Zum Schluss noch zwei weitere Besonderheiten dieses Mannes. Da ist zum einen seine Einfachheit und Schlichtheit. Wenn etwas schiefgelaufen ist wie die Ungeschicklichkeiten im Zusammenhang mit der Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der Pius-Bruderschaft, dann findet Josef Ratzinger ehrliche, offene und demütige Worte, wie jeder in seinem abschließenden Schreiben nachlesen kann. Selten wirkte ein Papst angreifbarer, verletzlicher als in diesem Text. Und manchmal zieht er es eben vor zu schweigen, auch wenn alle anderen lauthals fordern, er müsse sich zu Wort melden. Solch eine Stimme, die nicht auf Abruf funktioniert wie viele andere in der Medienlandschaft heute, ist nicht leicht zu ertragen.

Die Wolke als Symbol

Zum anderen ist seine Gelassenheit beeindruckend, die wohl nur daher rühren kann, dass er sich vom Gebet der Gläubigen getragen und sich in Gottes Hand weiß. Er wird deshalb auch nicht nachgeben, wo er nicht nachgeben darf. Das ist es wohl, was manchen Vertreter der säkularen Welt, aber auch manche „Reformer“ in der Kirche zur Weißglut bringt.

Die Wolke über Europa aus dem Vulkan ist kein schlechtes Symbol für die derzeitige Situation von Kirche und Gesellschaft. Vielleicht wird sich der Staub ein wenig setzen müssen, aber der Frühling kommt trotzdem. Wer auf Gott vertraut, geht nicht zugrunde. Mich freut der fünfte Jahrestag der Wahl Benedikts: Dieser Mann bewegt sich konsequent in den Fußspuren Jesu. Er reiht sich damit in eine große Schar von Jüngern ein, die sich als treu erwiesen haben.

Er geht uns, wie ein wahrer Hirte, voran, dem Ziel entgegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2010)

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