Dissonanzen in den Instanzen

(c) Peter Kufner
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Der Staat gerät ins Rutschen, aber nicht weil er von außen bedroht wird, sondern weil seine inneren Mechanismen schwächeln.

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Ist da was faul im Hause Österreich? Und wenn ja, was? Nicht, dass wir gleich von Krise reden wollen, schon gar nicht von einer Staatskrise. Doch es häufen sich die Phänomene, die nahelegen, dass es nicht mehr so läuft, wie es die vergangenen Jahrzehnte gelaufen ist. Was da neuerdings abgeht und primär unter der Rubrik Skandal und Korruption verhandelt wird, sind nicht mehr kleine Ausrutscher, sondern gröbere Entgleisungen. Die Staatsapparate wirken nervös. Sie vermitteln nicht Sicherheit, sondern transportieren Unsicherheit.

Ende Februar 2018 kam es zu Ermittlungen gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT). „Der höchste Beamte des Innenministeriums marschiert direkt zur Staatsanwältin, übergibt ihr ein Paket mit anonymen Vorwürfen gegen BVT-Beamte, liefert ihr die passenden Zeugen dazu, dann gibt es eine Razzia, bei der massenweise Daten beschlagnahmt werden, die gar nichts mit dem Fall zu tun haben“, fasste etwa „Der Standard“ treffend zusammen. Tatsächlich hetzte der Innenminister einer Abteilung seines Ministeriums ein Polizeikommando auf den Hals.

Gestaltete sich der erste Fall als Schlacht in einem Ministerium, so ist der zweite Fall eine Fehde zwischen dem Justiz- und dem Innenministerium. Im Mai 2019 wurde von mehreren Staatsanwälten der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Christian Pilnacek, den Generalsekretär im Justizministerium, Anzeige erstattet. Der höchste Beamte des Hauses wurde des „Verbrechens des Amtsmissbrauchs“ beschuldigt. Als Retourkutsche gab es auch prompt Anzeigen gegen Exponenten der Korruptionsstaatsanwaltschaft. Inzwischen sind all diese Verfahren eingestellt oder vor der Einstellung.

Bisweilen entsteht der Eindruck, dass der Staat von diversen Banden (nicht nur Seilschaften!) durchsetzt ist, die nur mühsam zusammengehalten werden können. Sie gleichen Rackets. Manche schlafen, manche wachen, manche walten, manche schalten. Dazu kommt, dass die Justizbehörden und andere öffentliche Stellen mit den zugehörigen Verfahren quantitativ heillos überlastet sind und zusätzlich überfrachtet werden.

Gewaltpol statt -monopol

Ein funktionierender Staatsapparat ist zwar kein monolithischer Block, stellt aber doch ein organisches Gesamtgebilde dar, in dem Teilinteressen erfolgreich unter Gesamtanliegen subordiniert werden. Erstmals hat man nun das Gefühl, dass dies nicht mehr in obligater Form aufgeht, dass Konventionen brechen, dass der Staatsapparat unter seinen Anforderungen und Auslastungen aus seinem ehernen Rahmen fällt. Insbesondere, dass sich Gewaltpole gegen das Gewaltmonopol verselbstständigen.

Staat desavouiert Staat. Sektoren greifen nicht ineinander, sondern treten gegeneinander auf. Gelegentlich fallen sie auch schon übereinander her. Einzelne Pole entfalten marodierende Züge. Unter der Last usurpatorischer Gelüste wirkt der Staat lädiert. Auffällig ist, dass Konflikte nicht mehr staatsintern, das heißt zwischen oder innerhalb der Ministerien, Abteilungen, Sektionen und Büros geklärt oder zumindest befriedet werden können, sondern dass Apparate selbst Übergriffe auf ihresgleichen tätigen und immer häufiger der Klagsweg beschritten wird. Sind das nun bloß Ausreißer, oder ist das die Spitze eines Eisbergs?

Duelle vor Publikum

Insgesamt geht es darum, einzuschätzen, ob solche Vorkommnisse als Scharmützel abgetan werden können, oder ob sie von einer neuen Entwicklung künden. Dass es Netzwerke gibt, die verschiedenen Parteien zuzuordnen sind, sollte im Parteienstaat der Zweiten Republik nicht überraschen, überraschend ist allerdings das formelle und entschiedene Auftreten ganzer Instanzen gegeneinander. Schlachten hinter den Polstertüren von Bürokratie und Justiz dringen nicht mehr nur durch Indiskretion und Investigation an die Öffentlichkeit, jene selbst wählen und wagen zusehends einen Schritt nach draußen und duellieren sich vor Publikum. Der Staat tritt dabei weniger als Gewaltmonopol in Erscheinung, sondern einzelne Gewaltpole lösen sich gleich Querschlägern aus ihrem originären Zusammenhang.

Gewaltmonopol heißt nicht nur, dass der Staat darüber entscheidet, wer Gewalt verfügen darf, sondern auch, dass die einzelnen Gewalten der nicht zu Unrecht so benannten Staatsgewalt aufeinander abgestimmt sind und im Falle von internen Konflikten diese noch vor dem Vollzug ausmoderiert und ausgeräumt werden. Regulative sind durch die Legislative vorgegeben. Kleine Havarien sind da nicht ausgeschlossen, größere Unfälle allerdings schon. Wir erleben auf jeden Fall eine Krise des synchronen Agierens, die Dissonanzen in den Instanzen vergrößern sich, die Formierung des Gewaltmonopols gestaltet sich schwieriger.

Auch wenn man Andreas Khol, dem ehemaligen ÖVP-Nationalratspräsidenten vorwerfen mag, dass er die schwarzen Gärten in den Apparaten pflegen und hegen möchte, spricht er doch zu Recht von einem High Noon in der Justiz. „Wie sollen die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger Anklagebehörden vertrauen, deren Chefs und Mitarbeiter sich gegenseitig Gesetzesbruch der schlimmsten Art vorwerfen, gegeneinander vor Gericht zu Felde ziehen, Entscheidungen offensichtlich missachten, mithilfe von gesetzwidrig ins Vertrauen gezogenen ,Leibjournalisten‘ den Krieg in den Medien fortsetzen und anfachen?“ – Ja, wie? Diese Vorfälle sind jedenfalls nicht vom Himmel gefallen oder gar Ausdruck narzisstischer und durchgeknallter Gemüter. Sie scheinen vielmehr langsam gewachsen zu sein, um sich chronologisch zu entpuppen und zu vermehren.

Das Misstrauen wächst

Für Justizminister Clemens Jabloner stellen diese Vorkommnisse nun „kein Ruhmesblatt“ für die Justiz dar. Jabloner, der auch als Vizekanzler in der Beamtenregierung von Brigitte Bierlein fungiert, meint, dass zu viel informell erledigt werde, dass in Zukunft Weisungen klargestellt sein müssen und vor allem, dass die Sprache verträglich zu sein habe. „Was ich einmahne, ist mehr Formalismus und Distanz“, sagt er. Das mag alles sinnvoll sein, löst aber das Problem keineswegs, dieses ist struktureller Natur, nicht durch Geschäftsordnung, Weisung und Umgangsformen zu bereinigen. Das ist Old School, doch deren Kräfte erschöpfen sich. Die Rettung in und durch die Formebene ist immer nur dann möglich, wenn die Form selbst intakt ist. Ist sie das?

In den Tiefen des Staats lauern die Ungeheuer. Auf das biedere Gemeinwesen der Zweiten Republik war Verlass, im Bösen wie im Guten. Nunmehr jedoch geraten nicht nur Gut und Böse durcheinander, man weiß auch nicht mehr, woran man sich halten soll. Der Wust der Nachrichten und Sendungen erlaubt keine ernsthafte Rezeption. Das Misstrauen wächst, Überraschungen und Eruptionen häufen sich. Der Staat gerät ins Rutschen, aber nicht weil er von außen bedroht wird, sondern weil seine inneren Mechanismen schwächeln.

DER AUTOR

Dr. Franz Schandl (geboren 1960 in Heidenreichstein) studierte Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Wien, lebt dortselbst als Publizist. Zahlreiche wissenschaftliche und journalistische Veröffentlichungen im In- und Ausland. Herausgeber der Zeitschrift „Streifzüge“: www.streifzuege.org.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2019)

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