Links schwenkt - plötzlich ist die SPÖ Vorreiter eines Berufsheeres

Zur militärischen Landesverteidigung ist das Heer ohnehin nicht mehr fähig. Alle anderen Aufgaben kann auch ein Berufsheer leisten.

Eigentlich sollte es eine Debatte über die Aufgabenstellung für das Bundesheer geben. Aus den Aufgaben wäre dann abzuleiten, welches Heer wir bräuchten, was es können und wie groß es sein müsste; daraus ließen sich dann das geeignete Wehrsystem ableiten und die Kosten berechnen. Die Aufgabenstellungen des Bundesheeres sollten wiederum aus der Beurteilung des strategisch-sicherheitspolitischen Umfelds und der globalen Situation abgeleitet werden, wobei insbesondere die Rolle der EU zu beachten wäre. Dazu müsste ein internationaler Lagebericht regelmäßig fortgeschrieben und politisch diskutiert werden. Aber wir sind eben in Österreich, und da ist alles ein bisschen anders.

Die Offiziersgesellschaft, der Generalstab und – bis vorgestern – der Verteidigungsminister sind a priori für die Wehrpflicht. Danach erst wird argumentiert, warum; es fallen einem immer Gründe ein. Auch bei manchem Gegner der Wehrpflicht kommt zuerst die Gefühlsentscheidung und erst danach die Suche nach der Begründung.

Ausbildung ohne Folgenutzung

Machen wir uns wenigstens die Mühe, bei der Beurteilung dieser Frage auf den aktuellen Zustand unseres Bundesheeres einzugehen. Theoretisch – d.h. laut Verfassung – hat es die Aufgabe der militärischen Landesverteidigung. Eine Nebenaufgabe ist die Assistenz, also die Unterstützung der zivilen Behörden z.B. bei Naturkatastrophen. Das Heer beruht auf der allgemeinen Wehrpflicht aller zum Dienst tauglichen Männer – theoretisch, denn tatsächlich kann man auch nach Belieben einen Zivildienst ableisten oder man kann mit ein bisschen Beziehungen oder Geld auf untauglich spielen. Vom letzten wehrpflichtigen Jahrgang haben von ca. 47.000 stellungspflichtigen Männern ca. 25.000 Wehrdienst geleistet. Von diesen waren mehr als zwei Drittel Systemerhalter, also etwas weniger als ein Drittel in soldatischer Verwendung.

Die „allgemeine“ Wehrpflicht dient regelmäßig dazu, eine große Anzahl von Soldaten sicherzustellen, indem zahlreiche Reservisten zur Verfügung stehen, die im Bedarfsfalle eingezogen werden können. So hat die Wehrpflicht in der Zeit des sogenannten Kalten Krieges insofern Sinn ergeben, als hunderttausende ausgebildete Milizsoldaten zur Verfügung standen. Der seinerzeitige Landesverteidigungsplan sah die Aufstellung von 300.000 Mann plus Reserve vor, wofür es im Regelfall sechs Monate zusammenhängenden Wehrdienst und danach stückweise Übungen von insgesamt zwei Monaten gab.

Heute haben wir den Zustand, dass Grundwehrdiener sechs Monate lang – mehr oder weniger – militärisch ausgebildet werden, und danach werden sie entlassen, um nie wieder militärisch verwendet zu werden. Wir haben also Ausbildung ohne Folgenutzung. (Der Ordnung halber eine Anmerkung: Einige der Grundwehrdiener melden sich nachher vielleicht für eine Verwendung bei Auslandseinsätzen.) Militärisch ist das absolut sinnlos. Ökonomisch ist es Schwachsinn. Für die Ausbildung (oder Scheinausbildung) der Wehrpflichtigen benötigen wir einen aufwendigen militärischen Apparat (der übrigens gar nicht schlecht ist) plus Administration usw. Etwas mehr als 40 Prozent des Verteidigungsbudgets und 50 bis 55 Prozent des Berufspersonals im Heer werden dafür benötigt. Diese Schätzung hält übrigens entgegen beschönigenden Darlegungen des BMLvS jeder Überprüfung stand, denn es gilt zu berechnen, was wir alles nicht bräuchten, gäbe es die Wehrpflicht und das dafür nötige Ausbildungs-, Verwaltungs- und Ergänzungssystem nicht.

Nun hat sich das Denken über den Sinn unseres Bundesheeres bis zu einem gewissen Grad bereits von militärischen Überlegungen abgewendet. Wir brauchen es – so wird gerne argumentiert – für die Polizeiaufgabe der Grenzüberwachung, für den Katastropheneinsatz und damit es Zivildiener gibt. Und dann vielleicht noch zum Schneeräumen, wenn der Magistrat der Stadt Wien überfordert ist, oder für die Präparierung von Skipisten usw. Das sind allesamt keine militärischen Aufgaben. Dafür benötigt man keine militärische Ausbildung. Übrig bleiben die Luftraumüberwachung und die Teilnahme an internationalen Einsätzen.

Diese militärischen Aufgaben können spielend im Rahmen eines kleinen Berufsheeres – und zwar bestens – erledigt werden. Wir haben zwölf Abfangjäger und ca. 1500 Soldaten/Soldatinnen in internationalen Einsätzen. (Davon sind ca. 450 Milizsoldaten, wobei diese Anzahl aufgrund der bereits erfolgten De-facto-Abschaffung der Miliz weiterhin abnehmen wird.) Denken wir also an ein Berufsheer von ca. 15.000 wirklich professionellen Soldaten, die gut ausgerüstet und modern bewaffnet sind.

Heer in prämodernem Zustand

Was den Standard unseres Heeres anlangt, so muss man leider noch anfügen, dass unsere Streitkräfte aufgrund der chronischen Unterdotierung die revolution on military affairs komplett versäumt haben. Sie befinden sich in einem prämodernen Zustand und könnten mangels modernster Ausrüstung und Bewaffnung die Verteidigung im Rahmen moderner Kriegsführung nicht einmal ansatzweise erfüllen. Sogar die Fähigkeit der traditionellen Kriegsführung der verbundenen Waffen ist nach Aussage der zuständigen Generalstabsorganisation spätesten im Jahre 2000 verloren gegangen.

Abschließend zum Argument, ein Berufsheer sei viel teurer als ein Wehrpflichtigenheer. Das würde stimmen, wollten wir ein Berufsheer, das all das kann, was unser Bundesheer von der Theorie her eigentlich können sollte, also z.B. autonome militärische Landesverteidigung. Das würde entsprechend internationalen Vergleichen wohl das Drei- bis Vierfache unseres Verteidigungsbudgets kosten. Das ist also Illusion, denn ein niedriges Verteidigungsbudget (das relativ niedrigste in Europa) gehört (leider) zu den Grundfesten unseres Staates. Aber ein Berufsheer, das das kann, was unser Heer tatsächlich militärisch noch kann, ist sogar unter der Ebene des aktuellen Budgets zu finanzieren. Und auch ein Berufsheer, das etwas mehr kann als unser heutiges Bundesheer, lässt sich mit unserem Budget machen!

Aber das waren wahrscheinlich nicht die Gründe, warum die SPÖ-Spitze jetzt auf eine Berufsheerdiskussion eingeschwenkt ist. BZÖ und Grüne verlangen das, wenngleich aus unterschiedlichen Motiven, schon lange. Die FPÖ und die ÖVP sind – noch – für die Wehrpflicht; sie werden wohl in einiger Zeit auch einschwenken. Denn das Bundesheer zerbröselt.

Zur Person


E-Mails an: debatte@diepresse.comHon.-Prof. DDr. Erich Reiter ist Präsident des Internationalen Instituts für Liberale Politik in Wien. Zuvor war er Beauftragter des Verteidigungsministeriums für Strategische Studien und Leiter von dessen Präsidial- und Rechtssektion.

2006 musste Reiter vorzeitig seinen Abschied nehmen, nachdem er in einem Interview für einen Zugriff der EU auf die Atomwaffen ihrer Mitgliedsstaaten plädiert hatte. [BMLV]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.