Rot-Grün sollte auch Konservative freuen

Gastkommentar. Eine Replik auf Hans Winklers „Warum Vassilakou schaffte, was Van der Bellen nicht gelang“ und die unnötigen Ängste der ÖVP.

In Wien hat in diesen Tagen die rot-grüne Koalition ihre Arbeit aufgenommen. Unter Konservativen hat das zu merklicher Unruhe geführt. In einem Kommentar hat „Die Presse“ gar von einem Misstrauensvorschuss gesprochen. Bemerkenswert, wenn man sich erinnert, mit welcher Euphorie in derselben Zeitung vor Jahren die Angelobung der schwarz-blauen Regierung gefeiert wurde.

Den österreichischen Konservativen macht zu schaffen, was weltweit in gefestigten Demokratien zur Normalität gehört: Es darf und kann auch Regierungsmehrheiten ohne Konservative geben. Nicht aber in Österreich. Da will die ÖVP für sich alle Optionen in Anspruch nehmen – Rot, Blau und Grün –, eine rot-grüne Regierung wird aber geradezu als linke Mehrheit auf dem Weg in eine „Räterepublik“ gesehen.

In seinem Gastbeitrag vom 22.November spricht Hans Winkler in Zusammenhang mit Rot-Grün ernsthaft von der „Langzeitperspektive der österreichischen Linken“: der „Ausschaltung der ÖVP als eines zwangsläufigen Mitspielers“ und „einem langen Marsch“. So viel Angst muss nicht sein. Rot-Grün ist gut für Wien und die Demokratie in Österreich. Nach langem Zögern der Sozialdemokratie gibt es endlich eine Alternative zum rot-schwarzen Stillstand.

Mehr Vielfalt im politischen Leben darf auch Konservative freuen. Rechnerisch geht sich derzeit auf Bundesebene eine derartige Koalition nicht aus. Was die Zukunft bringt, wird sich zeigen.

Dumme Vorurteile ausrotten

Die größte Chance für die Grünen liegt ohnedies darin, dass mit der Regierungsbeteiligung in Wien die hartnäckigen und dummen Vorurteile von „Haschtrafiken“, „gigantischen Benzinpreiserhöhungen“ oder „Zwangsvegetarisierung“ ausgerottet werden und damit neue Wählergruppen angesprochen werden können.

Es gibt aber noch einen weiteren Grund zur Freude: Die bürgerliche ÖVP könnte von der Last des „Regierenmüssens“ befreit werden. Bis dato hat es in den letzten Jahren bundesweit keine Mehrheiten ohne die ÖVP gegeben. Das kann sich jetzt ändern und wäre ganz im Sinn der ÖVP, hat sie sich doch unübersehbar in den vielen Regierungsjahren abgenützt.

Eine Frischzellenkur in der Opposition würde den Schwarzen durchaus gut tun. Nicht wenige haben das nach den letzten Wahlen hinter vorgehaltener Hand ohnedies längst angedacht – alleine aus Verantwortung hat man dann nach Eigendarstellung doch den Juniorpartner gemacht.

Unvollständiger Rückblick

Aber Hans Winkler macht auch den Blick zurück auf die schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen im Jahr 2003. Er lässt Wolfgang Schüssel sprechen, wie „überrascht die Grünen gewesen seien, wie kompliziert der Staat sei und was man alles wissen müsse“. Garniert wird diese Einschätzung mit der Behauptung, dass Van der Bellen zu schwach gewesen sei und eine grüne Bundesversammlung das Ergebnis abgelehnt hätte.

Ich war damals als Landessprecher der Wiener Grünen ein Kritiker von Schwarz-Grün und verhehle nicht, dass ich auch heute noch davon überzeugt bin, dass die Ablehnung damals richtig war. Winkler gibt durchaus einen realistischen, wenn auch unvollständigen Einblick in die inhaltlichen Differenzen bei den schwarz-grünen Koalitionsgesprächen.

Das war auch der entscheidende Punkt. Alexander Van der Bellen selbst hat die Verhandlungen abgebrochen. Der Spielraum für grundsätzliche Veränderungen war zu klein. Auch wenn es für die Macht- und Klientelpartei ÖVP schwer nachvollziehbar war und ist: Die Grünen werden für inhaltliche Grundsätze gewählt.

Mit Rot-Grün wird Wien bunter. International gibt es keinen Protest, und Österreich wird weniger provinziell. Auch Konservative sollten sich also über Rot-Grün freuen.

Albert Steinhauser ist Jurist, Nationalratsabgeordneter und Justizsprecher der Grünen.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2010)

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