Sprechen, bevor es zu spät ist Die Frauen machen es besser

Gastkommentar. Am Beispiel einer indisch-pakistanischen Frauenrunde: Wie der Dialog zur Überwindung von Isolierung und Extremismus beitragen kann.

Verständnis, Versöhnung, Vergebung, Kompromisse und Ideale: Das sind Begriffe, die wir nicht ad hoc mit den Verhandlern auf dem Parkett der internationalen Politik assoziieren. Warum eigentlich nicht?

Die Antwort ist erschreckend einfach: Die damit verknüpften Eigenschaften sind nicht sehr männlich, und die Realpolitik funktioniert – noch – nach den Gesetzmäßigkeiten von Macht und Herrschaft. Die Gruppenbilder mit Dame bei internationalen Gipfeltreffen sollten uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch immer die eiserne Übereinkunft gilt: kein Platz am Tisch der Männer.

Das mag zwar ungerecht sein, wäre aber nicht weiter irritierend, wenn wir unsere Zukunftsgestaltung in sicheren Händen wüssten. Wir leben weltweit in einem Klima der Bedrohung, das durch eine seltsame Paradoxie in Balance gehalten wird: Entschlossen stehen sich staatliche und nichtstaatliche Akteure gegenüber, bewaffnet, bestenfalls misstrauisch, oft hassend, bestenfalls auf Verteidigung, oft auf Vernichtung aus.

Dieser Weg ist archaisch und destruktiv und war bisher männlich dominiert. Doch die globalen politischen und auch die Geschlechter-Machtverhältnisse sind gewaltig ins Rutschen gekommen. Zunehmend sind Frauen entschlossen mitzumachen, nicht in der bisherigen verhängnisvollen Weise einfach das Weltgeschehen an sich vorbeirollen zu lassen und sich – schlimmstenfalls – als Opfer von Ausschreitungen, Übergriffen und Kriegen wiederzufinden.

Reise nach Bombay

Frauen haben das Potenzial, eine neue Bewegung anzuführen, die sich darauf spezialisiert, mit „der anderen Seite“ Kontakt aufzunehmen, genau hinzuschauen, wie der Feind beschaffen ist, was ihn antreibt, wie er gezähmt werden kann. Ein aktuelles Beispiel ist der mutige Dialog einer Gruppe von indischen und pakistanischen Frauen, die sich entschlossen haben, ausgerechnet während des Gedenkens an die Anschläge auf Bombay (Mumbai) sich im dortigen Taj Hotel zu treffen, um neue Wege in ein künftiges Zusammenleben ihrer Länder über die verhärteten Grenzlinien hinweg zu erarbeiten und zu erstreiten.

Deshalb reiste Ende November eine Delegation aus Islamabad nach Mumbai, um gemeinsam Strategien für einen aktionsorientierten Dialog zu entwickeln. Diese Reise nach einem halben Jahrhundert der von gewaltsamen Ausschreitungen begleiteten Trennung und der nuklearen Hochrüstung beider Seiten war nicht einfach. Dennoch haben sich die Frauen entschlossen, den ersten Schritt zu wagen: einen Dialog zu führen und nicht in die alten Fallen zu tappen.

Den Terror ansprechen

Die Gruppe wurde von Save, der ersten weltweiten weiblichen Antiterrorplattform, zusammengeführt. Das, was auf beiden Seiten passiert, beim Namen zu nennen, den Terror anzusprechen, aber nicht Schuldzuweisungen auszusprechen, sondern den emotionalen Durchbruch im Blick zu haben war die Übereinkunft.

Die Organisatorin auf der indischen Seite schlug vor, gemeinsam den Terrorpfad zu gehen. Die Frauen starteten beim Gateway of India, wo im November 2008 die Terroristen mit Booten gelandet waren, gingen weiter zum „Café Leopold“. Von dort ging es zum „Cama Albless Hospital“, wo sie mit der jungen Witwe aus Pakistan, die ihren Mann bei einem Anschlag im Swat Valley verloren hat, vor der Mauer am Spitalseingang standen, die noch von Schusslöchern durchsiebt ist.

Hier war Ashok Kamtes, ein indischer Polizeioffizier, auf Ajmal Kasab, einen jungen pakistanischen Terroristen gestoßen. Ashok konnte Kasab zwar anschießen, bezahlte seinen Einsatz aber mit dem Leben. Vinita, seine junge Witwe, ist ebenfalls Teil des Frauendialogs.

Die beiden Frauen haben wenige schicksalhafte Momente zusammengeführt: Schüsse, die im fernen Pakistan gefallen sind, und Schüsse hier bei einem Krankenhaus in Bombay. Das Etikett Opfer passt auf diese dynamischen Frauen nicht. Ja, sie sind durch Trauer und Verzweiflung gegangen, aber nun sind sie zusammengekommen, um über Wege aus den Niederungen des Terrors, der gegenseitigen Stigmatisierung und Diffamierung zu sprechen.

„Wer Frieden will...“

Der Versuch, die Angst vor „der anderen Seite“ zu überwinden, offen das Trennende anzusprechen und vorsichtig das Terrain für gemeinsame Aktivitäten abzustecken, ist gelungen. Bei einem neuerlichen Zusammentreffen morgen in Wien geht es um konkrete Schritte: wie Dialog zur Überwindung von Isolierung und gewalttätigem Extremismus genutzt werden kann.

Frauen sind dafür perfekt positioniert in ihren Gesellschaften. Denn sie spielen in den Familien, im Bildungsbereich und im Alltag eine zentrale Rolle, die es ihnen ermöglicht, Unzufriedenheit und Frustration zu orten und mit adäquaten Mitteln gegenzusteuern.

Hillary Clinton hat Entwicklung als zentralen Pfeiler der globalen Sicherheitsarchitektur bezeichnet. Armut, Ausbeutung, Korruption und Herrschaft der Eliten führen zu Widerstand, der aber nicht lange friedlich bleibt. Folgen sind Aufstand und Aufrüstung der Militärs, der herrschenden Eliten und religiösen Fundamentalisten.

Bertha von Suttner, die erste Frau, die den Friedensnobelpreis gewonnen hat, hat uns einen klaren Auftrag hinterlassen: Wer Frieden will, darf nicht schweigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2011)

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