Von Guttenberg und zu Gutenberg: Eine Ära neigt sich dem Ende zu

Mit dem abgetretenen Verteidigungsminister verlieren auch die Printmedien ihre Kontrollmacht als angeblich vierte Gewalt im Staat.

Die Zeit ist eine Schneiderei, die sich auf Änderungen spezialisiert hat!“ Dieses Zitat stammt von meiner Facebook-Seite, ist hundertprozentig von mir. Ich habe es eigenhändig von Faith Baldwin abgeschrieben – was aber sicher kein Plagiat ist. Somit sind wir schon beim Thema: Von Guttenberg und zu Gutenberg. Obwohl es scheint, dass beide Namensvetter nicht viel miteinander zu tun haben, ergibt sich dennoch ein kausaler Zusammenhang, sogar eine finale Verstrickung.

I. Karl-Theodor zu Guttenberg: Doktors Diary

Eine Ära geht zu Ende. Die Fakten liegen auf dem Tisch und sind bekannt. Karl-Theodor von und zu Guttenberg begann beim Juristen Peter Häberle eine Dissertation mit dem Titel „Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU“, welche er nach rund sieben Jahren einreichte. Die Arbeit wurde 2006 angenommen, am 27.Februar 2007 erhielt er die Gesamtnote summa cum laude. Nach Abgabe der Pflichtexemplare der 2009 von ihm publizierten Dissertation durfte er ab dem 28.Januar 2009 den Grad eines Doktors der Rechte führen.

Reichweite bis nach Afghanistan

Nachdem im Februar 2011 Plagiatsvorwürfe laut wurden und die Universität Bayreuth erhebliche Verstöße gegen die wissenschaftlichen Pflichten zur Kennzeichnung von Quellen und Zitaten festgestellt hatte, wurde der Doktorgrad aberkannt.*)

Den Sunnyboy der deutschen Politik schien nichts und niemand aufhalten zu können. Er hatte Reichweite bis nach Afghanistan. Die „Bild“-Zeitung schwang sich aufs Trittbrett der Kanzlerhoffnung.

Laut einer wissenschaftlichen Untersuchung der medialen Darstellung in den wichtigsten deutschen Printmedien wurde über den Minister von November 2008 bis April 2010 auffallend häufig und wohlwollend berichtet. Eine Karriere wie aus dem Bilderbuch. Doch alle Auguren hatten die Rechnung ohne das Volk gemacht. Die Ameisen im Internet und die grauen Mäuse im worldwide Net untertunnelten binnen kürzester Zeit Guttenbergs Dissertation.

Auf der Plattform http:// de.guttenplag.wikia.com wirkten die Netz-User zusammen und verwoben Stück für Stück des Inhalts, zogen Letter für Letter durch Suchmaschinen in Betracht und brachten schließlich, Buchstabe für Buchstabe, mit vereinten Zwergenkräften den Politikriesen ins Wanken. Demokratie pur, also.

2004 gründet Jimmy Wales mit Angela Beesley die Plattform Wikia.com, bei der jeder mitarbeiten und teilhaben kann. Die Zuarbeiter mit verschiedensten Hintergründen ergeben eine anonym gehaltene Kooperative. 2006 erfolgt die Adaption WikiLeaks als freier Zugang zu geheimen Informationen über öffentliche Belange. Hier geht es um keinen singulären Leuchtturm, sondern um eine kollektive Erscheinung, die „Schwarmintelligenz“ genannt wird und auch auf die „Summierungstheorie“ von Aristoteles verweist.

Am 17.Februar2011 startet das „GuttenPlag Wiki“, um Fundstücke zu dokumentieren. Der Salzburger Medienwissenschaftler Stefan Weber hatte die gemeinschaftliche Plagiatssuche angeregt (http://de.guttenplag.wikia.com).

Diese Qualität der Nachforschung, die erst durch den „Cognitive Surplus“ der vielen möglich wurde, könnte sich keine Redaktion leisten – zu hoch und zu zeitaufwendig wäre die Recherche. Eigentlich ein Armutszeugnis der „Aufdeckerblätter“, vormals die vierte Gewalt im Staat.

Mit Guttenberg kam jemand ins Straucheln, den viele bereits als nächsten Kanzler sahen. Der adelige, vermeintlich untadelige Freiherr hatte die reichweitenstärkste Zeitung Deutschlands auf seiner Seite. Aber selbst die „Bild“-Zeitung konnte ihm nicht mehr aus der Patsche helfen, als dieser aufgrund der im Internet ausgestellten Beweislast zurücktreten musste.

„Qualität“ contra „Quantität“

Das Ende einer Ära? Nicht nur der von und zu Guttenbergs. Inzwischen befetzen sich „Qualität“ und „Quantität“ im Match „Spiegel“ gegen „Bild“. Mit Vorhaltungen, die früher undenkbar waren. Als Indiz für den Abstieg der definitionsmächtigen oder reichweitenstarken Druckerzeugnisse.


II. Johannes Gensfleisch zu Gutenberg

Eine Ära geht zu Ende. Johannes Gensfleisch zu Gutenberg lebte vor 600 Jahren in Mainz. Er gilt als Erfinder des Buchdrucks mit beweglichen Lettern und ermöglichte schnelle, effiziente und hochwertige Druckprodukte. Die Entwicklungen Gutenbergs leiteten eine dritte Medienrevolution (nach Ausbildung der Sprache und Erfindung komplexer Schriftsysteme) ein. Druckerzeugnisse gehörten bald zum Alltag und lösten die Handschriften ab. Der Humanismus und die Reformation waren die ersten Botschaften, die sich einer rasanten Verbreitung erfreuten. Der Buchdruck trug zur Alphabetisierung bei. Demokratie pur, und zum Vorteil aller.

Kommunizierende Gefäße

Viel, viel später, andernorts: Politik und Medien sind kommunizierende Gefäße. Anbiederungen wurden zur Norm, auch jene der Kanzlers Gusenbauer und Faymann an die – heftig überschätzte, wie ich meine – „Kronen Zeitung“. Das Wahl- und Zahlvolk wird sich selbst überlassen. Man hört auf Spindoktoren, schaut in Umfragen (statt dem Volk aufs Maul) und schickt Mediatoren oder Watchers in den Gemeindebau.

Politiker begannen zu glauben, was sie über sich lasen – obwohl sie es in Auftrag gegeben hatten. Selbstinfektion am eigenen Schmäh? Ein unumkehrbarer Vorgang seit WikiLeaks und Guttenplag: Hier wie dort wird das Wesentliche fern von journalistischen Institutionen geleistet.

Die Definitionsmacht der Papiermedien ist vorbei. Es regiert das Internet mit mobilen Kommunikationstools, die eigenen Gesetzen gehorchen (copy/paste, ausschneiden/einfügen). Welches Holzfasermedium namens Zeitung soll sich noch mit Ministern oder Regierenden anlegen?

In Zeiten der Krise ist es wesentlich opportuner, eine Medienkooperation einzugehen. Somit besteht Hoffnung für Faymann, Bures, Hundstorfer und Kohorten von Konsorten, die – ohne Dissertationen – zu Spitzenjobs gekommen sind. Denen wird kein fein gesponnenes Netz an Schwarmintelligenz ein Plagiat vorwerfen oder gar nachweisen können.

„Man kann, wenn sie Bericht erstatten, ganz leicht, wer sie besticht, erraten.“ Das stammt nicht von mir, sondern von Fritz Grünbaum, der für seine Herkunft, sein freies Denken und seine eigenen Worte im KZ Dachau endete. Zumindest die Gefahr des freien Denkens und der eigenen Worte wird aber vielen unserer Politiker erspart bleiben.

*)Teile dieses Gastkommentars sind von der freien Enzyklopädie Wikipedia abgeschrieben, andere Teile sind aus dem weit verbreiteten Kollektivwissen der schreibenden Zunft entlehnt. Und jeder Buchstabe ist gestohlen. Jede Silbe, jedes Wort in diesem Text war bereits woanders zu lesen!

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comKarl Weidinger (*1962) lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Wien und im Burgenland.

Bisher sieben Buchveröffentlichungen, unter anderem: „Der Missbrauch des aufrechten Ganges“ (1993). Aktuelles Werk: „Die schönsten Liebes-Lieder von Slipknot“ (2007), erschienen im Androkles Verlag. [Androkles Verlag]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2011)

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