Jovan Divjak: Der falsche serbische General

Während der Massenmörder Ratko Mladić weiter auf freiem Fuß ist, holte Divjak in Schwechat ein serbischer Haftbefehl ein.

Gastkommentar

Die Verhaftung von Jovan Divjak am vergangenen Donnerstag auf dem Wiener Flughafen ist ein Rückschlag für die Aufarbeitung der Vergangenheit und die Beziehungen zwischen Bosnien und Serbien.

General Jovan Divjak war der einzige serbische General in der bosnischen Armee während des Krieges von 1992 bis 1995 und wesentlich an der Verteidigung Sarajewos beteiligt. Die serbische Staatsanwaltschaft beschuldigt ihn, an dem sogenannten Fall „Dobrovaljačka“ beteiligt gewesen zu sein.

In dieser engen Gasse in Sarajewo ereignete sich im Mai 1992 einer der dramatischsten Momente des damals noch jungen Krieges. Nachdem die jugoslawische Armee den bosnischen Vorsitzenden der Präsidentschaft Alija Izetbegović gekidnappt hatte, wurde von den Vereinten Nationen ein Austausch zwischen Izetbegović und den eingekesselten Soldaten der Jugoslawischen Volksarmee und deren Kommandanten General Milutin Kukanjac ausgehandelt.

Die Kolonne, bestehend aus UNO-General Lewis MacKenzie, Alija Izetbegović und General Kukanjac sowie einigen hundert Soldaten der jugoslawischen Armee, wurden in der Dobrovaljačka-Straße von bosnischen Soldaten beschossen, soviel ist unumstritten. Aber bereits die Zahl der Opfer ist kontrovers.

Auf Videos dokumentiert

Jovan Dijvak und andere Angehörige der bosnischen Armee sprechen von weniger als zehn Opfern unter den Soldaten der jugoslawischen Armee, während die serbische Staatsanwaltschaft für Kriegsverbrechen über 40Opfern angibt. Es steht außer Zweifel, dass in der Dobrovaljačka-Straße Soldaten der jugoslawischen Armee, in erster Linie junge Rekruten, die ohne ihre Mitschuld in den Krieg geschlittert waren, starben.

Diese dramatischen Ereignisse sind durch Videos dokumentiert, die bereits vor 15Jahren in dem BBC-Dokumentarfilm „Bruderkrieg“ zu sehen waren. Sie zeigen Jovan Divjak, der versucht, die Lage zu beruhigen und sich bemüht, die bosnischen Soldaten zurückzuhalten. Der Angriff auf die jugoslawische Armee in Dobrovaljačka fand nach einem Angriff der jugoslawischen Armee auf das Stadtzentrum Sarajewos am Vortag statt. Es war der wohl einzige Versuch der Armee, Sarajewo einzunehmen.

Später beschränkte sich die Armee, umgetauft als Armee der bosnischen Serbenrepublik, auf die dreieinhalb Jahre dauernde Belagerung der Stadt. In dieser Frühphase des bosnischen Krieges bestand noch keine kohärente bosnische Armee. Sie war vielmehr eine chaotische Truppe von Freiwilligen, Parteigängern von Izetbegović und auch Gangstern, die noch keiner klaren zentralen Kontrolle unterstanden.

Haager Tribunal ermittelte

Das Haager Kriegsverbrechertribunal hat bereits vor Jahren diesen Fall ermittelt und keine Anklage gegen Jovan Divjak oder andere bosnische Armeeangehörige oder Politiker erhoben. Merkwürdigerweise hat sich stattdessen die serbische Staatsanwaltschaft für Kriegsverbrechen für den Fall zuständig erklärt.

Der Fall Dobrovaljačka fand nicht in Serbien statt, die Opfer waren Angehörige der Jugoslawischen Volksarmee, nicht der serbischen Armee und stammten aus verschiedenen ehemaligen jugoslawischen Republiken. Es ist somit völlig unklar, aus welchem Grund ein serbisches Gericht für den Fall zuständig sein sollte.

Es ist insbesondere auch deshalb ironisch, da Serbien stets bemüht ist, die Beteiligung am Krieg in Bosnien abzustreiten. Diesen Widerspruch hat auch die führende serbische Menchenrechtsaktivistin Nataša Kandić bereits nach der Verhaftung von Ejup Ganić für den gleichen Fall festgestellt.

Ganić wurde wie Divjak aufgrund eines serbischen Haftbefehls im März 2010 in London verhaftet. Im Juli 2010 gab das englische Gericht dem serbischen Auslieferungsantrag nicht recht, da es den Haftbefehl und die Anklage als „politisch motiviert“ beurteilte. Ganić kam frei und konnte nach Bosnien zurückkehren.

Der Haftbefehl gegen Divjak ist gleichermaßen politisch motiviert und trägt somit nicht zur Aufarbeitung der Vergangenheit bei.

Anders als Ganić, der als Politiker auch zu der nationalistischen Kriegsrhetorik beigetragen hat, war Divjak ein Vertreter jenes multinationalen Bosniens, das durch den Krieg zerstört wurde. Er wurde nach dem Krieg Opfer der ethnischen Spaltung des Landes: Als serbischer General der Armee der bosniakisch-kroatischen Armee passte er nicht mehr in das Bild eines Landes in dem alles fein säuberlich nach ethnischen Kriterien aufgeteilt ist.

Für Mladić ein Verräter

Nach seiner Entlassung widmet er sich humanitären Projekten und gehört zu jener Gruppe Bürger von Sarajewo, die sich trotz alle Widerstände für ein multinationales Bosnien einsetzen.

Vor Jahren erzählte mir Jovan Divjak, wie er während des Krieges bei Waffenstillstandsverhandlungen als Gesprächspartner von Ratko Mladić, dem Kommandanten der Armee der Republika Srpska, abgelehnt wurde. Als Serbe in der bosnischen Armee galt Divjak für Mladić als Verräter.

Statt Ratko Mladić, verantwortlich für zahllose Kriegsverbrechen, so auch den Massenmord in Srebrenica, ist nun Divjak verhaftet worden, während sich Mladić nach wie vor auf freiem Fuß befindet.

Hätte es mehr mutige Armeeangehörige wie Jovan Divjak gegeben, die die jugoslawische Armee verließen, als sich diese Massenmord und ethnischer Säuberung verschrieb, wäre Bosnien der Krieg mit über 100.000Toten erspart geblieben.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2011)

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