Viele enttäuschte Erwartungen: Was bringt uns der Euro noch?

Gastkommentar. Zur Behebung von zwei Systemfehlern und zur Stabilisierung des Euro muss jedes Mitglied des Klubs seinen Beitrag leisten.

Was bringt uns der Euro eigentlich noch?“, werde ich in letzter Zeit häufig gefragt. Gar nicht so sehr von eingeschworenen Euroskeptikern, sondern von Mitmenschen, die dem größten monetären Experiment der Wirtschaftsgeschichte durchaus aufgeschlossen und positiv gegenüberstanden.

Ohne Zweifel – unsere Erwartungen wurden enttäuscht! Das bezieht sich gar nicht in erster Linie auf die bisher gelungene Einhaltung des Inflationsziels (im Vergleich etwa zu den Perioden vor dem Euro und mit anderen Ländern). Obwohl mit den jüngst wieder steigenden Inflationsraten auch hier die Skepsis wächst.

Dies umso mehr, als wohl jedermann unter „stabilem Geld“ zu Recht auch die Erhaltung der Kaufkraft der Spareinlagen versteht. Die reale – also um die Inflation bereinigte – Verzinsung der Spareinlagen ist aber schon seit geraumer Zeit negativ (hier läuft eines der größten und – überraschenderweise – kaum öffentlich diskutierten Sanierungsprogramme für die Banken).

Als ob steigende Inflation und schwindende Kaufkraft der Spareinlagen nicht schon genug des Ärgers mit dem Euro wären, beginnt sich bei immer mehr Menschen eine grundsätzliche Verunsicherung hinsichtlich der „Verlässlichkeit“ des Euro breitzumachen, seit die Metamorphose der Finanzkrise zur Staatsschuldenkrise in einigen Euroländern ebenso besorgniserregende Ausmaße annimmt wie die Unfähigkeit der Politik, darauf adäquat zu reagieren.

Europas Krisengipfeltourismus

Zwar jagt ein Euro- bzw. EU-Gipfel den anderen, temporäre Rettungsschirme und permanente Krisenmechanismen in immer gigantischerem Umfang werden ebenso gezimmert wie neue „Pakte für den Euro“ geschmiedet und alte Vereinbarungen wie der Stabilitätspakt verschärft. Selbst für Spezialisten ist es da nicht immer leicht, den Überblick über all diese Maßnahmen – und vor allem auch über deren Details – zu bewahren. Allein die Finanzmärkte scheint diese Hyperaktivität im europäischen Krisengipfeltourismus nicht wesentlich zu beruhigen.

Bei nüchterner Analyse kann das eigentlich nicht verwundern. Denn abgesehen von der Krisenbekämpfung, den „Schutzschirmen“, fehlt die Entschlossenheit der Politik zu einer effektiven Krisenprävention. Das überrascht eigentlich nicht. Denn dann müsste man sich mit den wirklichen Ursachen des Euroschuldenschlamassels auseinandersetzen und die systemischen Fehler des Euro eliminieren.

Diese liegen keineswegs darin, dass der Euroraum kein „optimales Währungsgebiet“ im Sinne der ökonomischen Theorie darstellt (das war ebenso wenig in Österreich wie in Italien mit je eigener Währung der Fall), oder darin, dass der Währungsunion die politische Union oder eine weitere Abstimmung bzw. Koordinierung der nationalen Wirtschaftspolitiken fehlt. Wenn etwas nicht funktioniert hat, dann heißt die europäische Devise wohl: Mehr davon! Größere Rettungsschirme und Rettungsfonds, längere und öfter einberufene Krisensitzungen, jetzt schärferer Stabilitätspakt. Gerade auch dieser Stabilitätspakt, der die Verschuldung der Euromitgliedstaaten eigentlich hätte begrenzen sollen, ist nicht nur unnotwendig, sondern nachgerade kontraproduktiv.

Vielmehr sollte die fiskalische Autonomie der Mitgliedstaaten, das heißt ihre Budgethoheit, erhalten bleiben und keineswegs eingeschränkt werden – dafür aber sollte das „ordentliche Pleitegehen“ von Staaten möglich sein. Nur dann nämlich sehen die Gläubiger genau hin, wem sie ihr Geld geben, verlangen entsprechend hohe Zinsen als Ausgleich für ein höheres Risiko.

Pleiteverfahren als Alternative

Die Anleihemärkte, die so die Funktion der Devisenmärkte übernehmen, zeigen dann deutlich, wie es um die Bonität eines Landes und damit auch um die Arbeit einer Regierung wirklich bestellt ist. Nur genau diesen Performance-Indikator will man nicht – nicht in Griechenland, nicht in Spanien und schon gar nicht in Frankreich. Hier wollte man die wirtschaftliche Dominanz der Deutschen zumindest durch die Abschaffung des Symbols dieser Dominanz, der Deutschen Mark, und die bei weniger stabilitätsorientierter Politik drohende Abwertung der eigenen Währung zur DM eliminieren.

Diesen zentralen Performance-Indikator, den Zinssatz, der auf die jeweilige Staatsschuld zu bezahlen und im Vergleich zur Benchmark, dem Zinssatz auf die deutsche Staatsschuld, zu sehen ist, gibt es zwar, nur wird er durch zwei zentrale System- bzw. Politikfehler deutlich verfälscht.

Gibt es nämlich die Vermutung, dass einzelne Euroländer bei Zahlungsschwierigkeiten von anderen aufgefangen werden (die sich ja bestätigt hat), so ist der Zinssatz wegen des geringeren Risikos niedriger. Für ausgabefreudige Staaten wie Griechenland eine Einladung, die Zügel locker zu lassen! Nur ein glaubwürdiges und geordneten Pleiteverfahren für Staaten – das ist jedenfalls die bessere Alternative als das Chaos einer ungeordneten Staatspleite (siehe Argentinien) – signalisiert den Märkten, dass es tatsächlich ein Ausfallsrisiko auch bei Staaten gibt, das sie entsprechend einpreisen werden.

Die fatale Politik der EZB

Der zweite Systemfehler des Euro liegt in der Politik jener Institution, die vorgibt, auf nichts anderes als die Stabilität des Euro zu achten. Das Gegenteil ist der Fall! Die Europäische Zentralbank (EZB) hat durch ihre Politik, die Staatsanleihen aller Euroländer in gleicher Weise als Sicherheiten für Kredite an Geschäftsbanken zu akzeptieren, die Grundlage für die Staatsschuldenkrise selbst gelegt.

Gerade durch diese Politik haben einerseits Geschäftsbanken ein einträgliches – ja nahezu risikoloses (!) – Geschäft und andererseits gerade schlechte Schuldner wie Griechenland sehr leichte und günstige Kreditmöglichkeiten.

Diese Politik der EZB, die den Stabilitätszielen diametral zuwiderläuft und de facto die Finanzierung der Staatsdefizite durch die Notenbank bedeutet, gehört beendet. Die EZB könnte z.B. in Abhängigkeit von der jeweiligen Staatsverschuldung steigende Abschläge bei als Sicherheiten für Kredite unterstellten Staatsanleihen verlangen.

Was solider Euro bringen würde

Der Euro wurde uns als Stabilitätsklub verkauft. Dazu muss jedes Mitglied seinen Beitrag leisten, und in dem Maße, in dem dies unterbleibt, die Kosten dafür selbst tragen. Durch eine gemeinsame Währung wird das Wechselkursrisiko eliminiert, abrupte und mitunter realwirtschaftlich nicht gerechtfertigte Auf- und Abwertungen wie auch Attacken auf Währungen sind damit nicht mehr möglich.

Diesen Schutz und damit Vorteil gewährt der Euro – gerade einem kleinen Land wie Österreich, dem infolge eines großen Marktes mit einheitlicher Währung die erfolgreiche Positionierung in der Weltwirtschaft enorm erleichtert wird. Das bringt der Euro – nein, nur ein solider Euro basierend auf einem entsprechend reformierten Regelwerk.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Person

Ferry Stocker (*1961 in Lienz) studierte Handelswissen- schaften und Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er ist Fachbereichsleiter für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Wiener Neustadt.

Sein jüngstes Buch: „Zahltag. Finanz- und Wirtschaftskrise und ökonomische Prinzipien“. [Privat]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2011)

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