Ein Ausweg für Griechenland und Europa

Ausstieg aus dem Euro und Wiedereinführung der Drachme, ein teilweiser Schuldenerlass oder aber eine „innere Abwertung“: über drei Lösungsansätze zur Überwindung der jetzigen Griechenland-Krise.

Gastkommentar

Erstens: Zentrale Fehlentwicklungen

I. Die Teilnahme an der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) hatte vor allem für den „europäischen Süden“ günstige Effekte: Dort waren die (Real-)Zinsen vor dem Beitritt zur WWU wegen verlangter „Risikoprämien“ (vergleichsweise) höher. Deren Wegfall wirkte dann expansiv.

Meist wurde dieser günstige Effekt noch dadurch weiter verstärkt, dass die Realzinsen – wegen der etwas höheren Inflationsraten in den gerade angesprochenen Ländern – niedriger als im Rest der WWU waren. Länder wie Deutschland, die Niederlande und auch Österreich konnten dagegen von diesem Zinseffekt nicht profitierten, da dort die Zinsen schon vorher relativ niedrig waren.

II. Die erwähnte Dynamik im Süden erhöhte die Wachstumsraten dieser Länder etwas. Zudem stiegen im Süden die Löhne stärker als die Arbeitsproduktivität: So erhöhten sich etwa in Griechenland die Lohnstückkosten im Vergleich zu Deutschland in einem Jahrzehnt um etwa 25 Prozent.

III. Die erwähnte etwas dynamischere Entwicklung durch die Mitgliedschaft in der WWU und vor allem die steigenden Lohnstückkosten führten zu zunehmenden Ungleichgewichten in der Leistungsbilanz. In Griechenland äußerte sich dies zwischen 2000 und 2005 in Leistungsbilanzdefiziten von etwa sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), ab 2006 bis 2010 zwischen zehn und 15 Prozent des BIPs.

Zweitens: Politik- und Marktversagen

I. Eine Überprüfung derartiger Ungleichgewichte ist in der Währungsunion nicht explizit vorgesehen: Während Länder außerhalb der WWU bei größeren außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten relativ schnell auf „Abwertungsgefahr“ mit restriktiven Maßnahmen und struktureller Anpassung reagieren – oder tatsächlich abwerten–, um wieder wettbewerbsfähig zu werden, fehlt innerhalb der WWU meist der explizite Druck zu wirtschaftspolitischen Reaktionen.

Da Wechselkursanpassungen nicht mehr möglich waren, hat sich die relative Wettbewerbsfähigkeit wegen erhöhter Lohnstückkosten entsprechend verschlechtert. Einschlägige Fehlentwicklungen führten nicht oder kaum zu Handlungsempfehlungen durch EU oder EZB.

Sogar dort, wo ein „institutioneller Hebel“ existiert, etwa bei „Stabilitäts- und Wachstumspakt“, wurden mit der von Deutschland und Frankreich herbeigeführten „Aufweichung“ des Pakts notwendige Politik- und Strukturanpassungen weniger dringlich. Als weitere Inkonsequenz kann auf die „No-Bail-out“-Vorgabe für die WWU hingewiesen werden, was auch bei zurückhaltender Interpretation zumindest als Unterlaufen einschlägiger Regelungen angesehen werden muss.

II. Nicht allein auf Politik-, auch auf Marktversagen muss hingewiesen werden: Die länderspezifischen Zinssätze für Staatsanleihen der Euroländer differierten zwischen dem Beitritt zur WWU und der Lehman-Krise im September 2008 trotz der deutlich unterschiedlichen Verschuldung einzelner Länder und der damit verbundenen divergierenden Risiken nicht. Haben Märkte und „Agenturen“ entscheidende Entwicklungen „verschlafen“?

Drittens: Drei Lösungsansätze für Griechenland

I. Der Ausstieg aus dem Euro und die Wiedereinführung der Drachme: Eine extrem unwahrscheinliche Variante, die formal einen EU-Austritt impliziert. Dazu kommt, dass damit die Euroschulden nach der zu erwartenden starken Abwertung einer „Neuen Drachme“ für den griechischen Staat jedenfalls unfinanzierbar wären. Auch Banken und Unternehmen in Griechenland wären als Folge des markant erhöhten Binnenwertes der Schulden in Euro extrem gefährdet.

Hohe Außenstände vor allem von französischen und deutschen Banken in Griechenland wären kaum mehr einbringlich. Die gefürchteten Ansteckungseffekte könnten eine Verschärfung der Probleme in Europa und sogar weltweit herbeiführen.

II. Eine andere Variante, die zuletzt etwas wahrscheinlicher geworden ist, wäre ein teilweiser Schuldenerlass für Griechenland, ein „Haircut“. Damit verbunden sind zumindest zwei Probleme: Die Interpretation einer solchen Vorgangsweise durch die Märkte als „Zahlungsunfähigkeit“ und mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder gefährliche internationale Ansteckungseffekte.

III. Eine dritte Möglichkeit sei kurz skizziert, die auch die Probleme fehlenden Wachstums und möglicher „Ansteckung“ entschärfen könnte: eine „innere“ Abwertung. Dies bedeutet, dass die Preise des betroffenen Landes relativ zum Ausland sinken. Bei einer „üblichen“ (äußeren) Abwertung werden etwa die Preise zu exportierender Güter und Leistungen durch eine nominelle Wechselkursänderung gesenkt. Dies ist in einer Währungsunion natürlich nicht möglich. Preise und auch Löhne müssten daher „direkt“ reduziert werden, damit Güter und Leistungen international wieder konkurrenzfähig werden.

Der Verlust griechischer Wettbewerbsfähigkeit im letzten Jahrzehnt könnte – zumindest weitgehend – rückgängig gemacht werden. Obige Strategie müsste in allen Sektoren der griechischen Wirtschaft, vor allem auch in der Industrie und im (für Griechenland sehr wichtigen) Fremdenverkehr umgesetzt werden. Dies würde einerseits helfen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit herzustellen, andererseits soziale Ungleichbehandlung im Großen verhindern. Der letzte Punkt verlangt natürlich zusätzlich danach die Steuervermeidung spezieller Gruppen umgehend zu verhindern.

Seit dem dritten Quartal 2008 beträgt der Produktionsrückgang mehr als zehn Prozent. Noch für 2011 wird eine wirtschaftliche Schrumpfung von 3,5Prozent prognostiziert. Mit einer „inneren“ Abwertung ließe sich auch eine zentrale Voraussetzung für erfolgreiche Anpassung gewährleisten: Griechenland könnte dadurch wieder wachsen – und Wachstum ist unbedingt nötig, um die Verschuldung relativ zum BIP reduzieren zu können sowie wieder Glaubwürdigkeit auf den internationalen Finanzmärkten zu erlangen.

Dies könnte mit der oben skizzierten Strategie erreicht werden. Das Problem liegt dabei natürlich in den kurzfristigen sozialen Kosten und den zu erwarteten Problemen politischer Durchsetzung.

Damit ließe sich aber auch Zeit gewinnen, um Anpassungsmaßnahmen zu ermöglichen, deren Wirkung erst mittelfristig zu erwarten ist. Weiters ließen sich damit mit einiger Sicherheit ebenso die äußerst gefährlichen internationalen Ansteckungseffekte vermeiden. Eine derartige Strategie sollten die Europäer deshalb jedenfalls finanziell unterstützen.

Zum Autor


E-Mails an: debatte@diepresse.comAlfred Sitz (*4.2. 1950 in Wieselburg), studierte an der Wirtschaftsuniversität Wien. Danach Beschäftigung in der Forschungsgruppe für Internationale Analysen. Derzeit Ao. Univ.-Prof. im Department für Volkswirtschaft der WU. Forschungsschwerpunkte: monetäre und reale Außenwirtschaft sowie internationale Makroökonomie. [PRIVAT]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2011)

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