Und ich bleibe dabei: Die Linke hat unrecht!

Eine Antwort auf Schirrmachers bürgerlichen Selbstzweifel. Der freie Markt braucht einen am Gemeinwohl orientierten Ordnungsrahmen.

Unter dem Titel „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“ wirft Frank Schirrmacher den Konservativen eine gähnende Leere bei Ideen zur Bewältigung der Krisen vor. Er stößt ins selbe Horn wie der von ihm zum Kronzeugen angerufene Charles Moore, den er als „Erzkonservativen“ bezeichnet. Der Thatcher-Biograf hat im „Daily Telegraph“ als erster die Frage aufgeworfen: „Hat die Linke nicht am Ende recht?“ Beide bejahen die Frage deutlich.

In der Tat: Die Krisen dauern nun schon lange, auch von Lösungsversuchen redet man ebenso lange, vieles wird versucht, ob es reicht, weiß niemand so genau – „the proof of the pudding is in the eating!“ Mancherorts kommt Ratlosigkeit auf angesichts des internationalen Finanzmarkts, europäisch-amerikanischer Schuldenkrise, der Stagnation der CDU in Deutschland, der Ausbruch von Bandenkriminalität in englischen Städten. Schirrmacher, beeindruckt von Moore, folgt ihm undifferenziert und weitgehend. Sein Gesinnungswandel ruht auf zwei Säulen: Das politische System diene wirklich nur den Reichen, Reiche würden reicher, Arme ärmer. Beweis: Die Banken nähmen den Menschen das Geld weg und würden dafür wegen der staatlichen Garantien nicht bestraft, denn der Staat, also der Steuerzahler, übernehme die Verluste.

Was kostet es den Steuerzahler?

Diese Feststellung ist in dieser Allgemeinheit schlichtweg falsch. Sie mag für Großbritannien zutreffen, wo Not leidende Banken verstaatlicht wurden, nicht aber für den Großteil der EU, sicher nicht in dieser Verallgemeinerung für Österreich und für Deutschland. Und überall ist die Endabrechnung bei den staatlich aufgefangenen Banken noch nicht möglich: Was kostet es den Steuerzahler wirklich? Nur die Banken allein reichen aber nicht zur Stützung der These, die Linken hätten recht sogar dann, wenn der linke Vorwurf zuträfe!

Die als neoliberal verunglimpften politischen Systeme in Europa haben zwar nämlich manche Reiche aber auch unzählige Ärmere reicher gemacht! Ein breiter, wohlhabender Mittelstand und Systeme der sozialen Sicherheit haben sich in allen Ländern Europas entwickelt. Sie schützen vor Altersarmut, Arbeitslosigkeit, Krankheit und sozialem Absturz. Die hohen Sozialquoten, 30 Prozent und mehr, werden von den Wohlhabenderen finanziert und kommen den Ärmeren zugute. Die massive Umverteilung von Reicher zu Ärmer kann nicht geleugnet werden.

Unerträgliche Bonuszahlungen

Die zweite Säule: „Globalisierung sollte ursprünglich nichts anderes heißen, als weltweiter freier Handel. Jetzt heißt es, dass Banken die Gewinne internationalen Erfolgs an sich reißen und die Verluste auf jeden Steuerzahler verteilen.“ Ja, die Bonuszahlungen ans Bankmanagement, die verschiedenen Betrügereien und wilden Spekulationen sind unübersehbar und unerträglich – aber hat nicht gerade der weltweite freie Handel zu einer breit verteilten Mehrung des Wohlstands geführt? Länder wie China, Indonesien, Indien, Brasilien und viele andere frühere Entwicklungsländer haben über Jahrzehnte ein jährliches Wirtschaftswachstum von fünf und mehr Prozent erreichen können. Dort lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung.

Auch die alten Industrieländer wachsen und werden reicher. Wie der Reichtum intern verteilt wird, ist eine Sache der einzelnen Staaten. Die meisten folgen in unterschiedlichem Ausmaß einem System der ökologisch verpflichteten Sozialen Marktwirtschaft – die große Errungenschaft der europäischen Christdemokratie nach dem Zweiten Weltkrieg.

Manichäische Weltsicht

Gerade das ist aber sowohl Schirrmacher als Moore vorzuwerfen: In ihrer manichäischen Weltsicht sehen sie bisher auf der einen Seite nur einen neoliberalen Kapitalismus in parlamentarischen Demokratien, auf der anderen Seite die gescheiterten Zentralverwaltungs-wirtschaften des real existierenden Sozialismus in kommunistischen Diktaturen. Sie übersehen den Dritten Weg dazwischen! Den Königsweg der ökologisch verantwortlichen Sozialen Marktwirtschaft (SMW).

Bei Moore ist das noch einigermaßen verständlich: Margaret Thatcher bestritt die Möglichkeit einer „socially oriented market economy“ stets heftig. Ich habe ihre Worte noch im Ohr: „Humbug, the market is never social“ – also: „Unsinn, der Markt ist niemals sozial!“ Pensionen, Kinderbeihilfen, öffentliches Schulwesen sind in Großbritannien auch eher dürftig. Aber Schirrmacher, gerade im Musterland der SMW? Er muss den Unterschied zwischen freier Marktwirtschaft und sozialer Marktwirtschaft kennen: der freie Markt braucht einen am Gemeinwohl orientierten Ordnungsrahmen! Sie haben Recht, nicht die Linken! Gerade für die internationale Finanzwirtschaft ist es etwa schon lange überfällig, dem freien Spiel der Marktkräfte einen ordnungspolitischen Rahmen zu geben, wie ihn die Soziale Marktwirtschaft vorsieht. Im Umweltbereich hat die Weltgemeinschaft das Kyoto–Ziel als ordnungspolitischen Rahmen festgelegt. Die SMW müsste konsequenter umgesetzt werden, sie hält die Wege aus der Krise bereit.

Betrüger bleiben ungeschoren

Die Rezepte der Linken zur Bewältigung der Schuldenkrise sind nicht zielführend: Steuern erhöhen statt sparen, weiter Schulden machen, andere sollen zahlen, die anderen, die Reichen. Da ist ein neuer Mix von Budgetsanierung durch nachhaltiges Sparen, Konjunkturbelebung und Privatisierung, wie ihn Herbert Stepic in der „Presse“ schildert, zielführender. Schuldenbremsen in den Staatsverfassungen sollten die Demokratien vor verantwortungslosen Mehrheiten schützen.

Was Schirrmacher und Moore zu Recht feststellen, hat mit links und rechts nichts zu tun. Es ist der Verzicht darauf, Schuldige zur Rechenschaft zu ziehen: Sieht man von verurteilten Betrügern und Veruntreuern ab, so blieben jene, die das System der SMW missbraucht, die Krisen verursacht, ihre Banken an die Wand gefahren haben, bisher ungeschoren. Ebenso Verantwortliche für die Euro-Krise: Wie konnten die Brüsseler Stellen die betrügerischen griechischen Angaben durchlassen? War da Bestechung im Spiel? Wer hängt den Katzen endlich die Schelle um: den Schuldenmachern in den Euroländern, die sich über die Maastricht-Kriterien straffrei hinwegsetzen können? Wer zieht Gerhard Schröder und Jacques Chirac zur Verantwortung, die durchgesetzt haben, dass die drei Prozent Schuldenbremse im EU-Verfassungsrecht nicht beachtet, der Vertrag ständig gebrochen wird? Wo blieben EU-Kommission, Gerichtshof und Parlament?

Schirrmacher meint mit Recht: „Das Bürgertum, das seine Werte und Lebensvorstellungen von den gierigen Wenigen missbraucht sieht, muss in sich selbst die Fähigkeit zur Gesellschaftskritik wiederfinden.“ Und, so denke ich, die Fähigkeit, der sozialen Marktwirtschaft und dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Person

Andreas Khol (70) war von Dezember 2002 bis Oktober 2006 Erster Präsident des Nationalrats. Seit dem Jahr 2005 ist er Seniorenbund-Vorsitzender. Khol, der sich selbst stolz als (Wert-)Konservativer bezeichnet, war lange Zeit Kolumnist der „Presse“. Die „Schirmacher“-Debatte wird hier in loser Folge fortgesetzt. [APA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2011)

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