Rechte Träumer

Geht die unheilige Allianz zwischen marktfundamentalistischen Neoliberalen und Konservativen nun in die Brüche? Schön wär's!

Na wenigstens auf Christian Ortner ist noch Verlass. Der Mann kann immer noch ganze Zeitungskommentare auf ein Wort reduzieren: „Politikversagen“! Während intellektuelle Leitfiguren des bürgerlichen Lagers wie Charles Moore und Frank Schirrmacher die Finanzmarktkrise zum Anlass nehmen, die Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte zu hinterfragen, träumt der Neoliberale Ortner in der „Presse“ immer noch vom gebackenen Eislutscher: dem freien Markt, der das Richtige wie von selbst tut, ohne Politik dazu zu brauchen.

So sind sie eben, die Neoliberalen: Eine kleine, aber fanatische Gruppe idealistischer Träumer, gegen die alle linksgrünen Multikultis wie beinharte Realisten wirken. Die wissen nämlich, dass Politik mühsam ist, dass Demokratie mühsam ist, dass die Gesellschaft an sich mühsam ist. Dass es keine einfachen Lösungen gibt und dass man sich von Reform zu Reform durchwursteln muss, um das Gute zu bewahren und sich doch an neue Begebenheiten anzupassen. Das ist viel Arbeit.

Arbeit, die sich die neoliberalen Träumer ersparen wollen. Sie wollen die Hände in den Schoß legen, sechs Milliarden Menschen einfach Güter und Dienstleistungen austauschen lassen und hoffen, dass alles schon von selbst gut gehen wird. Nur wer an Horoskope glaubt, ist noch leichtsinniger.

Die Neoliberalen reagieren natürlich zickig auf das Erwachen der Konservativen: Ihnen drohen die Verbündeten und Financiers der letzten Jahrzehnte davonzulaufen. Ich als Linker habe diese Allianz ja nie verstanden. Konservativ sein, das heißt doch: etwas bewahren wollen, Traditionen achten, gewachsene Strukturen schätzen und pflegen und behutsam entwickeln. Und dann diese unheilige Allianz mit marktradikalen Extremisten, die keine Moral, keine Struktur, keine Tradition achten und für soziales Handeln nicht viel übrig haben? Warum eigentlich? Weil die Linken bis in die 1970er-Jahre die gemeinsamen Feinde waren und der Feind meines Feindes mein Freund ist? Da habt ihr euch ja schön geschnitten.

Dass Konzernsöldner wie Wolfgang Schüssel und K.H.G. den sozialen Grundkonsens der Zweiten Republik zerschlagen wollten, verwundert nicht. Aber warum hat z.B. ein Andreas Khol mitgemacht? Wie konnten und können Bauern und Beamte dieser marktfundamentalistischen und anti-konservativen VP die Treue halten?

Unbedankt übrigens, der Wirtschaftsflügel denkt bekanntlich trotzdem über eine Abspaltung nach. Realistische Bürgerliche sollten diese Träumer gehen lassen.

Wie schreibt Jan Fleischhauer im „Spiegel“: „Wenn eine Ideologie nun unwiderruflich ihren Enttäuschungswendepunkt erreicht hat, dann der Neoliberalismus, der das Gute vom Markt erwartete. Der Liberale dieser Provenienz leugnet, wie der Konservative, nicht die Bedeutung eigensüchtiger Motive, glaubt aber daran, dass sie sich gegenseitig aufheben oder doch, zusammengenommen, zu einem größeren Nutzen verbinden. Dass die Leidenschaften Einzelner das ganze System an den Rand des Zusammenbruchs führen können, ist bei ihm nicht vorgesehen.“

Ja, es stimmt, diese Finanzmarktkrise ist Politikversagen. Das Versagen, sich den Marktträumern ausgeliefert zu haben.

Michel Reimon (40) ist Landessprecher und Abgeordneter der Grünen Burgenland, Journalist, u.a. „Schwarzbuch Privatisierung“.


debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2011)

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